Vermaehlung um Mitternacht
Gegnerin.
Alec packte die falsche Braut am Arm und zog sie auf die Lichter des Gasthauses zu. Ihr Mund wurde schmal vor Ärger, doch sie protestierte nicht, sondern starrte ihn nur streng an.
Wenn Therese Frant je ihr genaues Gegenstück gebraucht hätte, hier hätte sie es gefunden. Statt der kunstvoll arrangierten Goldlöckchen hatte sie hellbraunes Haar, das sich, nachdem sich die strenge Frisur aufgelöst hatte, wild um ihr schmales, eckiges Gesicht bauschte. Ihre schlanke, knabenhafte Gestalt stand in starkem Gegensatz zu den üppigen Rundungen, die Therese so gerne zur Schau stellte.
Insgesamt war die falsche Braut dünn, brünett und unansehnlich. Ihre einzigen Pluspunkte waren der hübsche breite Mund und die dicht bewimperten grünen Augen.
Sie kniff die Augen zusammen. „Ich musste meine Brille abnehmen.“ Ihr nasaler Akzent ging Alec auf die ohnehin schon strapazierten Nerven. „Die Kutsche hat viel zu sehr gerumpelt.“ „Verflucht, Sie stammen aus den Kolonien.“
„Ich stamme nicht aus den Kolonien. Ich bin Amerikanerin.“ Ihre finstere Miene kam ihm auf einmal verdächtig bekannt vor. Alec runzelte die Stirn. Wenn er sie sich mit der fehlenden Brille vorstellte, das braune Haar in straffen Zöpfen um den Kopf gewunden, konnte er fast...
Er stöhnte. „Verdammt! Sie sind der Drache von Frant.“
Eine unvorteilhafte Röte überzog ihre schmalen Wangen.
„Hat sie Sie dazu angestiftet?“ fragte er zornbebend.
„Wer? Wer soll mich wozu angestiftet haben?“ Sie beugte sich vor und guckte ihn an. „Sind Sie blau?“
„Bin ich was?"
„Beschickert. Angesäuselt. Betrunken.“ Kritisch betrachtete sie ihn. „Betrunken oder vollkommen verrückt. Eines von beiden.“ „Ich bin weder betrunken noch verrückt“, erwiderte er steif und schaute sie wütend an.
„Doch“, beharrte sie, „es sei denn, Sie entführen immer Frauen, um sie dann in Gasthäusern anzuschreien.“
Zu ihrem Schrecken erkannte Julia Frant plötzlich, warum manche Mitglieder der vornehmen Gesellschaft den Viscount auch „Teufel“ Hunterston nannten. Sein attraktives Gesicht konnte sich im Handumdrehen in eine Grimasse glühenden Zorns verwandeln, in der seine grauen Augen wie flüssiges Silber glommen.
„Sie haben nicht eine Entführung vereitelt, sondern eine heimliche Heirat verhindert“, sagte er mit frostklirrender Stimme. „Therese hätte in dieser Kutsche sitzen sollen.“
Julia schluckte die plötzliche Enttäuschung hinunter. Natürlich hatte er sie für Therese gehalten. Niemand würde sich je die Mühe machen, die einfache, unscheinbare Julia Frant zu entführen und zu küssen. „Ich dachte, Sie sind eine Droschke“, erklärte sie entschuldigend.
„Eine Droschke? Gucken Sie sich die Kutsche doch an! Sieht sie etwa wie eine Droschke aus?“
Sie linste zu dem verschwommenen Fleck. „Im Regen schon“, meinte sie schließlich.
Er gab ein ersticktes Geräusch von sich. „Wo ist Therese?“
„Auf der musikalischen Soiree der Hadmores. Sie ging in Lady Satterlys Begleitung hin.“
„Dieses verdammte Luder! “
„Vielleicht hat sie es ja vergessen“, schlug Julia vor.
„Höchst unwahrscheinlich. Sobald ich sie in die Finger kriege ... “ Er hielt inne und krallte die Hände ineinander.
Sie empfand plötzlich Mitleid. Bestimmt war das für seinen Stolz und für sein Herz ein empfindlicher Schlag. Es gefiel ihrer Cousine, die Männer leiden zu lassen. Wahrscheinlich war Therese gerade auf der Soiree und lachte sich ins Fäustchen.
Julia blickte zu ihm auf und unterdrückte ein Seufzen. Therese war ein Dummkopf. Der Viscount war unglaublich attraktiv. Schon sein Gesicht erschien ihr unvergesslich, mit den markanten, aristokratischen Zügen und den arrogant gewölbten Brauen, die ihn dunkel und verwegen wirken ließen.
Er galt als frecher, verworfener Wüstling, der sich nie dem Diktat der vornehmen Gesellschaft unterwarf. Stattdessen ließ er sich mit den untersten Schichten der Halbwelt ein, besuchte Spielhöllen, trank übermäßig und vertrieb sich die Zeit mit allen möglichen sündhaften Vergnügungen, ohne sich im Geringsten um Anstand und Sitte zu kümmern.
Kein Mensch bedurfte dringender der Besserung als der „Teufel“ Hunterston.
Julia räusperte sich, obwohl sie noch nicht wusste, was sie sagen sollte, um die Situation zu entschärfen. Nach kurzem inneren Kampf platzte sie heraus: „Eine herrliche Nacht haben wir, nicht wahr?“
Er runzelte die Stirn. „Aber natürlich.
Weitere Kostenlose Bücher