Vermaehlung um Mitternacht
Kopf. Amüsiert verzog er die Lippen. „So prüde, Miss Frant?“
„Nein. Ich vertrage nicht viel Alkohol. Das liegt bei uns in der Familie.“
„Ein ganz hervorragender Grund, mehr zu trinken.“
Ohne ihr Gelegenheit zum Protest zu geben, drückte er ihr den Becher in die Hand. Automatisch schlossen sich ihre Finger um das warme Zinn, und sie hielt die Nase in die aufsteigenden Dämpfe. Sie würde den Becher einfach in der Hand halten, bis er abgekühlt war, und dann auf den Tisch stellen. Daran gab es doch gewiss nichts auszusetzen.
Der Viscount ließ sich im Sessel gegenüber nieder und streckte die Beine zum müde flackernden Feuer aus. Von ihm strahlte eine Düsterkeit aus, wie Julia sie an ihm noch nie erlebt hatte. Und sie hatte oft Gelegenheit gehabt, den verwegenen Viscount zu beobachten. Öfter, als er je erfahren würde.
„Wenn ich nicht weiß, was los ist, kann ich Ihnen auch nicht helfen“, verkündete sie entschieden.
Er starrte auf seinen Zinnbecher, als suchte er dort nach einer Antwort. „Da gibt es nicht viel zu erzählen.“
Angesichts seiner Hoffnungslosigkeit tat ihr das Herz weh. „Vielleicht könnte ich Ihnen helfen. Vier Augen sehen mehr als zwei.“
Nachdenklich betrachtete er sie. „Warum nicht? Jetzt habe ich ja alle Zeit der Welt.“ Er lehnte den Kopf zurück und seufzte. „Mein Großvater war entschlossen, mich zur Umkehr zu bewegen.“
Anscheinend ist sein Großvater ein Mann von Verstand gewesen, dachte Julia beifällig.
Die Augen des Viscount blitzten. „Vielleicht wissen Sie es ja nicht, aber manch einer hält mich für verkommen.“
„Unter anderem.“ Als sie seine erstaunte Miene sah, fügte sie hastig hinzu: „Aber wahrscheinlich stimmt das alles nicht.“
Der Viscount lachte leise. „Leider ist es wohl nur allzu wahr.“ Ernst fuhr er fort: „Wir alle, Kinder wie Enkel, waren für meinen Großvater eine Enttäuschung.“
„Bestimmt urteilen Sie da zu streng.“
„Glauben Sie? Großvater warf meinen Onkel ohne einen Penny hinaus, weil der eine Frau geheiratet hatte, die ... nun ja, sagen wir, ungewöhnliche Gelüste hatte.“
„Oh“, erwiderte Julia und fragte sich, was er damit wohl meinte. Sie fing einen glitzernden Blick auf und erkundigte sich hastig: „Und Ihre Mutter?“
„Meine Mutter verliebte sich unsterblich in einen völlig verarmten Schotten, der nichts hatte als die Aussicht auf einen eher zweifelhaften Titel. Sie brannte mit ihm durch.“
„Sie muss sehr in ihn verliebt gewesen sein.“
Er machte ein finsteres Gesicht. „Sie war siebzehn und völlig zügellos. Als sie verschwand, war Großvater am Boden zerstört. Er suchte überall nach ihr, und als er sie schließlich fand, hauste sie in einer schier unbeschreiblichen Armut.“ Er guckte in die Flammen. „Meine Eltern sind kurz darauf gestorben.“
„Also sind Sie bei Ihrem Großvater aufgewachsen.“
„Ja. Er ist vor einem halben Jahr gestorben und hat mir sein Vermögen hinterlassen. Mein Vetter Nick erbte den Titel und den Grundbesitz, allerdings in Fideikommiss. Großvater kannte meinen Vetter zu gut, als dass er ihm den Besitz bedingungslos überlassen hätte.“
Julia umklammerte den Zinnbecher fester. „Was hat das alles mit Therese zu tun?“
„Um das Vermögen zu erben, muss ich vor meinem nächsten Geburtstag heiraten und ein Jahr in der Gesellschaft leben, ohne in einen einzigen Skandal verwickelt zu werden. “ Abschätzig verzog er die Lippen. „Großvater dachte, ich wäre zu wild und rastlos.“ „Wahrscheinlich hat er von Ihren Kokotten gehört“, meinte Julia.
„Meinen Kokotten?“ wiederholte er erstickt.
„Oder den Spielhöllen“, schlug sie hilfreich vor.
Er grinste schief. „Sie sind ja wirklich ganz auf dem Laufenden, Miss Frant.“
„Was soll man sonst schon anfangen, wenn man dauernd bei den Anstandsdamen sitzt? Wie viel Zeit bleibt Ihnen denn noch?“
Der Viscount blickte auf die Uhr. „Noch knapp zwei Stunden.“ Sie blinzelte. „Zwei Stunden? Und seit wann wissen Sie von den Bedingungen, die Ihr Großvater testamentarisch festgelegt hat?“ „Seit seinem Tod.“
„Aber das ist doch schon ein halbes Jahr her! “
„Ich habe immer gehofft, dass noch irgendetwas passiert, was diesen Albtraum verhindert.“ Er fuhr sich durch das schwarze Haar, so dass es ihm wirr in die Stirn hing. „Leider vergeblich.“
Julia packte den Becher noch fester, damit sie nicht plötzlich die Hand ausstreckte und ihm das Haar aus der Stirn
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