Vermaehlung um Mitternacht
Wozu denn das?“ Nun strahlte sie ihn förmlich an. „Das ist eine sehr gute Frage und verdeutlicht die Schattenseiten unserer modernen Erziehung. Ich spreche drei Sprachen fließend, beherrsche die höhere Mathematik und kenne mich in Geografie und Philosophie aus. Und nur weil ich keine Aquarelle malen kann, wollte man mich als Gouvernante nicht einmal in Betracht ziehen.“
Es war erstaunlich, wie sich ihr Gesicht verwandelte, wenn sich ihre Gefühle an irgendeinem Thema entzündeten. Dann blitzten ihre Augen, ihre Wangen wurden rosarot, selbst ihr Haar wirkte elastischer und glänzender. Plötzlich war sie nicht mehr hausbacken und farblos, sondern entwickelte eine ganz eigene, still strahlende Schönheit.
„Ich hatte Glück, dass Tante Lydia mir schrieb und mich bat, Thereses Gesellschafterin zu werden.“
„Therese hatte Glück, aber von dir kann man das wohl kaum behaupten.“
Julia guckte ihn an und wollte etwas sagen, verkniff es sich dann aber und lief feuerrot an. „So unangenehm es auch war, ich habe dabei gelernt, mehr auf die Bedürfnisse anderer zu achten.“
Alec fragte sich, wie groß ihr Herz noch sein mochte: Da war sie selbst in einer verzweifelten Lage, betrachtete dies aber nur als Lektion über die Schwierigkeiten ihrer Mitmenschen. Das brachte ihn auf einen weiteren Gedanken: In seinem ganzen zügellosen Leben war er sich noch nie so nichtsnutzig vorgekommen.
Zur Hölle mit diesem Weib und ihren Moralpredigten. Was ihn anging, so war er froh, reich und verantwortungslos zu sein. Wenn Julia glaubte, sie könne ihn derart beschämen, bis er ein ebensolcher Tugendapostel wurde wie sie, täuschte sie sich gewaltig. Wenn sich hier jemand änderte, dann sie.
Alec griff nach der Schachtel, die er aus der Halle mitgebracht hatte, öffnete sie und holte den Hut heraus, der dort in Seidenpapier eingeschlagen lag. „Hier, probier den mal auf.“
Abwesend schaute sie den Hut an. „Ich hab ihn bereits im Laden aufprobiert. Es besteht keinerlei Notwendigkeit, ihn noch einmal aufzusetzen.“
„Da bin ich aber anderer Ansicht. In diesem Licht wird er völlig anders wirken. Außerdem habe ich zwanzig Guineen dafür gezahlt.“ Er schenkte ihr sein schönstes Lächeln und senkte die Stimme ein wenig. „Da kannst du ihn mir wenigstens noch einmal vorführen.“
Widerstrebend erhob Julia sich und streckte die Hand aus. „Also gut, obwohl mir das sehr albern vorkommt. Eigentlich müsste ich jetzt zu Reverend Ashton von der Vereinigung gehen und ihm von dem Geldsegen erzählen.“
„Schreib ihm einen Brief“, antwortete er. Er ignorierte ihre ausgestreckte Hand und hielt den Hut hoch. „Gestatte bitte.“ Missmutig sackten ihre Mundwinkel nach unten; sie entzog sich ihm aber nicht, als er ihr den Hut aufsetzte. Stattdessen starrte sie blicklos in die Ferne, als wäre er gar nicht da.
Er ließ die Hand auf ihrem weichen Haar ruhen, nachdem er den Hut zurechtgerückt hatte. „Weißt du, Liebes, es geht nicht an, dass du allen von deinem wohltätigen Engagement erzählst.“
Da wurde sie munter. Finster runzelte sie die Stirn. „Die Vereinigung braucht mich aber. Ich werde sie nicht im Stich lassen, bloß weil...“
„Darum hat dich auch niemand gebeten, Liebes. Du solltest nur ein bisschen vorsichtiger sein, das ist alles. Die Leute spotten über das, was sie nicht verstehen.“
Ungläubig musterte sie ihn. „Das scheint mir sehr ungerecht.“ Alec hätte ihr gern gesagt, wie schnell der scharfzüngige Klatsch einen vernichten konnte, doch er schwieg. Stattdessen hob er ihr Kinn an, um den Hut besser sehen zu können, und rückte bis auf wenige Zoll an sie heran. Sie duftete nach Zitronen und Zimt.
„Das ist wirklich ein alberner Hut“, murmelte sie empört. „Ich hab es dir schon im Laden mitgeteilt, aber du wolltest ja nicht auf mich hören.“
Die Strohkrempe umrahmte ihr eigenwilliges Gesicht. Das charmante Modell war mit unzähligen Kunstblumen und Kirschen aufgeputzt. Diesen speziellen Hut hatte er gekauft, weil das üppige Grün der Blätter ihrer ungewöhnlichen Augenfarbe genau entsprach.
Doch im Augenblick konnte er ihre Augen kaum sehen, da sie den Blick hartnäckig gesenkt hielt, während er die Bänder nahm und eine Riesenschleife unter ihrem Kinn band.
„Weißt du“, meinte er, „eigentlich gebietet die Höflichkeit, dass eine Frau sich bei ihrem Mann bedankt, wenn er ihr Geschenke macht.“
„Danke“, erwiderte sie folgsam.
„Manche Frau würde ihrem
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