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Vermiss mein nicht

Vermiss mein nicht

Titel: Vermiss mein nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cecelia Ahern
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Mutterinstinkt in Aktion. Man sagt, eine Mutter kann ein Auto hochheben, um ihr Kind zu retten. Ich glaube, Mrs. Butler hätte in dieser Woche einen ganzen Bus gestemmt, wenn es ihr geholfen hätte, Jenny-May zu finden. Aber als ihre Tochter auch den zweiten Monat verschwunden blieb, wurde sie immer schwächer und konnte schließlich kaum noch die Augen vom Boden heben. Nicht nur Jenny-May war verschwunden, sie hatte auch einen großen Teil ihrer Mutter mitgenommen.
    Wie sich herausstellte, war ich die Letzte, die Jenny-May gesehen hatte. Als Grandma und Granddad an diesem Mittag eintrafen, öffnete ich ihnen die Tür, und genau in diesem Moment radelte Jenny-May an unserem Haus vorüber. Sie drehte sich nach mir um und warf mir einen Blick zu, einen jener Blicke, die ich abgrundtief hasste. »Ich bin viel toller als du, du wirst heute jämmerlich verlieren, und Stephen Spencer wird merken, was für eine blöde Bohnenstange du bist«, sagte der Blick. Während ich meine Großmutter umarmte, beobachtete ich über ihre Schulter, wie Jenny-May hocherhobenen Hauptes, Nase und Kinn in die Luft gereckt, die blonden Haare im Wind wehend, in die Pedale trat. Da wünschte ich mir, was sich wahrscheinlich jeder Mensch in meiner Lage gewünscht hätte. Nämlich, sie würde verschwinden.
    An diesem Tag gewann mein Dad fünfhundert Pfund im Lotto. Er freute sich wie ein Schneekönig, das sah ich ihm an. Zwar versuchte er, sich das Lächeln zu verkneifen, als er sich zu mir an den Küchentisch setzte, aber seine Mundwinkel gehorchten ihm nicht, sie zogen sich unwiderstehlich nach oben. Nebenan saß Mrs. Butler bei meiner Mutter und weinte. Mein Dad legte seine Hand auf meine, und ich wusste, was er dachte: Warum hab ich so viel Glück? Er hatte nicht nur im Lotto gewonnen, er hatte auch seine Tochter nicht verloren, während Menschen wie Mr. und Mrs. Butler so leiden mussten. Ich meinerseits war froh, weil ich dadurch, dass Jenny-May nicht aufgetaucht war, nun als unumstrittene Siegerin galt. Und weil Jenny-May nicht mehr da war, um einzugreifen, hatte ich sogar ein paar neue Freundschaften geschlossen. Alles lief gut für meine Familie, doch für die Butlers hätte es gar nicht schlimmer sein können. In der folgenden Zeit blieben meine Eltern abends oft lange auf und dankten Gott für seine unermessliche Gnade.
    Aber in mir hatte sich irgendetwas verändert. Jenny-Mays letzter verstohlener Blick hatte auch mir etwas genommen. Die Butlers waren nicht die einzigen Eltern, die an diesem Tag ein Kind verloren.
    Wie gesagt, es gibt im Leben immer ein Gleichgewicht.

Einundvierzig
    Trotz Mr. Burtons Drohungen und Protesten beschloss Jack, mit seinen Nachforschungen weiterzumachen und doch nach Leitrim zu fahren. Nachdem er eine weitere Nacht in Bobbys Zimmer verbracht hatte, war der Drang, Donal zu suchen, von neuem in ihm erwacht. Nicht dass er wirklich geschlafen hätte – er war stets präsent und wollte mit jedem Herzschlag neue Antworten, Hinweise und Erklärungen. Noch immer klammerte sich Jack an den Gedanken, dass es sein Ausweg war, Sandy zu finden. Sie war die Medizin, die sein überarbeiteter Kopf brauchte, um endlich zur Ruhe zu kommen. Warum genau das so war, wusste er selbst nicht recht, aber er hatte nur selten in seinem Leben einen so starken Instinkt für etwas gespürt. Fast so, als wäre der Teil von ihm, der zusammen mit Donal verloren gegangen war, durch eine stärkere intuitive Wahrnehmung ersetzt worden. Er kam sich vor wie ein Blinder, bei dem sich die Sinne verfeinern. Als Jack seinen Bruder verloren hatte, war sozusagen sein Augenlicht erloschen, aber dafür hatte er einen besseren Orientierungssinn erhalten – er wusste auf einmal viel besser, wo es in seinem Leben langging.
    Allerdings hatte er keine Ahnung, was er Sandys Eltern sagen würde, wenn er sie besuchte. Vorausgesetzt, sie waren überhaupt zu Hause und bereit, sich Zeit für ihn zu nehmen. Er folgte einfach diesem inneren Kompass, und um die Mittagszeit parkte er tatsächlich direkt um die Ecke von Sandys ehemaliger Wohnstätte. Sogar jetzt am Samstag war es ganz still in der kleinen Straße mit den Zweifamilienhäuschen. Er atmete ein paar Mal tief durch, stieg aus und schlenderte den Gehweg hinunter. Sosehr er sich auch bemühte, nicht aufzufallen, war ihm doch deutlich, wie fehl am Platz er war in dieser stillen Straße, wie die einzige Figur in Bewegung auf einem Schachbrett.
    Vor Nummer vier blieb er stehen. In der Auffahrt stand ein

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