Vermiss mein nicht
erfuhr.
»Oh!«, rief Susan und versuchte, sich ein Lächeln zu verkneifen.
»Sie kennen ihn?«
»Wissen Sie denn, ob es sich um
Gregory
Burton handelt?« Sie konnte ihre Aufregung kaum verbergen.
»Ja, das ist er. Aber er kann mich nicht besonders leiden. Falls Sie mit ihm sprechen sollten.«
»Ach wirklich!«, erwiderte Susan nachdenklich, ohne ihm richtig zuzuhören. »Ach wirklich!«, wiederholte sie mit leuchtenden Augen, als beantwortete sie eine Frage, die Jack nicht kannte. Offensichtlich freute sie sich, aber als ihr Jacks Anwesenheit wieder einfiel, wurde sie plötzlich sehr neugierig. »Warum wollen Sie Sandy eigentlich unbedingt finden?«
»Ich habe mir schon Sorgen um sie gemacht, weil sie nicht zu unserer Verabredung in Glin erschienen ist. Als ich sie dann auch nirgends sonst erreichen konnte, hat mich das noch mehr beunruhigt.« Das war nur ein Teil der Wahrheit, und Jack wusste, dass seine Begründung reichlich lahm klang.
Auch Susan schien es zu merken, denn sie zog wieder die Augenbrauen hoch und meinte ziemlich spitz: »Ich warte seit drei Wochen auf Barney, den Klempner, der meine Spüle reparieren soll, aber bisher bin ich nicht auf die Idee gekommen, deshalb seine Mutter zu besuchen.«
Jack schaute abwesend auf die Spüle. »Na ja, Sandy sucht meinen Bruder. Ich habe sogar die Polizei in Limerick wegen ihr angerufen; mit einem Graham Turner habe ich dort gesprochen, falls er sich hier meldet.«
Susan lächelte. »Am Anfang haben wir auch die Polizei benachrichtigt, drei Mal, aber jetzt machen wir das nicht mehr. Wenn Herr Turner sich erkundigt, wird ihm klarwerden, dass Nachforschungen in diesem Fall keinen Sinn haben.«
»Das ist ihm schon klargeworden«, brummte Jack und legte die Stirn in Falten. »Ich versteh das alles nicht, Susan, wo soll sie denn hin sein? Ich verstehe einfach nicht, wie sie verschwinden kann, ohne dass jemand weiß, wo sie ist, und ohne dass jemand auch nur wissen
will
, wo sie ist.«
»Wir haben doch alle unsere kleinen Verstecke, und wir finden uns mit den Marotten der Menschen ab, die wir lieben«, wandte sie ein, stützte das Kinn auf die Hand und musterte ihn aufmerksam.
»Und das war’s dann?« Er seufzte.
»Wie meinen Sie das?«
»Das ist alles? Wir nehmen es einfach hin, wenn jemand verschwindet? Keine weiteren Fragen? Je- der kann kommen und gehen, wie es ihm beliebt? Reinschneien und wieder abdampfen? Leute kennenlernen, Leute sitzenlassen, Leute lieben, alles ganz unverbindlich? Verschwinden, auftauchen, wieder verschwinden und so weiter? Alles kein Problem!« Er lachte ärgerlich. »Dass sich bloß keiner Sorgen macht! Was kümmern mich die Menschen zu Hause, die mich lieben und sich Gedanken um mich machen?«
Schweigen.
»Sie lieben Sandy?«
»Wie bitte?« Er verzog das Gesicht.
»Sie haben gesagt …« Sie brach ab. »Na, egal.« Sie trank einen Schluck Tee.
»Ich kenne Sandy nur vom Telefon«, erklärte Jack langsam. »Es gab … wir hatten keine Beziehung.«
»Dann finden Sie Ihren Bruder, indem Sie meine Tochter finden?« Er hatte keine Zeit zu antworten, denn sie fuhr fort: »Glauben Sie, dass Ihr Bruder sich am selben Ort aufhält wie Sandy?«, fragte sie kühn.
Da war es heraus. Eine wildfremde Frau hatte es ausgesprochen. Eine Frau, die ihn gerade mal zehn Minuten kannte, hatte die lächerliche Idee auf den Punkt gebracht, die seine fieberhafte Suche vorantrieb. Susan schwieg ein paar Augenblicke, ehe sie leise hinzufügte: »Ich weiß nicht, unter welchen Umständen Ihr Bruder verschwunden ist, aber ich weiß, dass er nicht am selben Ort ist wie Sandy. Ich hab noch eine Lektion für Sie, eine, die mein Mann Harold und ich im Lauf der Jahre gelernt haben. Man findet die andere Socke in der Waschmaschine nicht, jedenfalls nicht, indem man aktiv danach sucht.« Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Dinge tauchen einfach wieder auf. Man kann sich verrückt machen, indem man sie sucht. Es spielt keine Rolle, wie sauber und ordentlich man sein Leben organisiert, es spielt keine Rolle, wie systematisch man sich alles einrichtet …« Wieder unterbrach sie sich und lachte traurig. »Ich halte mich selbst nicht daran, ich tue nämlich so, als würde Sandy öfter heimkommen, wenn ich das Haus supersauber halte. Ich denke, wenn sie merkt, wie übersichtlich alles ist, dann muss sie keine Angst haben, dass etwas verschwindet.« Sie blickte in der makellosen Küche umher. »Aber es spielt überhaupt keine Rolle, wie viel, wie oft
Weitere Kostenlose Bücher