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Vermiss mein nicht

Vermiss mein nicht

Titel: Vermiss mein nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cecelia Ahern
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den Asphalt gemalt, jeder Spieler bekam eins davon zugewiesen, und es ging darum, den Ball ins eigene Kästchen zu manövrieren, bevor ihn sich ein anderer schnappte. Wenn man das nicht schaffte oder wenn der Ball außerhalb der Linien landete, schied man aus. Ziel des Spiels war, es zu dem Kästchen ganz oben zu schaffen, dem Königskästchen, das Jenny-May für die gesamte Dauer des Spiels innehatte. Ständig sagten alle, wie wundervoll sie spielte, wie talentiert, flink, geschickt und würg kotz spei sie war. Meine Freundin Emer und ich sahen uns die Spiele immer von unserer Gartenmauer aus an, denn wir durften nicht mitmachen, weil Jenny-May uns nicht dabeihaben wollte. Eines Tages hatte ich zu Emer gesagt, dass Jenny-May nur deshalb immer gewann, weil sie gleich im obersten Kästchen anfing und sich nicht wie alle anderen hocharbeiten musste.
    Na ja, das hatte wohl jemand mitgehört, und so kam mein kritischer Ausspruch auch Jenny-May zu Ohren. Als Emer und ich am nächsten Tag wieder auf der Mauer saßen, mit den Beinen baumelten und Marienkäfer von den Pfosten schnippten – um zu sehen, wie weit sie flogen –, kam plötzlich Jenny-May anmarschiert, die Hände in den Hüften, umringt von ihren Jüngern, und verlangte, ich sollte ihr erklären, was ich bitte schön mit meinem Kommentar gemeint hatte. Das tat ich, worauf sie mich mit rotem Gesicht und bebender Stimme zu einer Entscheidungsrunde King/Queen herausforderte. Wie gesagt hatte ich das Spiel noch nie gespielt, und ich kannte Jenny-Mays Favoritenstatus. Mir war es nur darum gegangen, klarzustellen, dass sie vielleicht nicht ganz so gut war, wie alle immer behaupteten. Jenny-May hatte irgendetwas an sich, was andere Leute dazu brachte, mehr in ihr zu sehen, als tatsächlich da war. In meinem Leben bin ich gelegentlich auf solche Menschen gestoßen, und sie haben mich immer an Jenny-May erinnert.
    Schlauerweise ließ sie jeden wissen, dass sie automatisch zur Siegerin gekürt wurde, wenn ich nicht auftauchte. Trotzdem wünschte ich mir, mein Pflichtbesuch bei Tante Lila, vor dem mir eigentlich immer grauste, wäre einen Tag früher.
    Die Nachricht, dass Jenny-May mich herausgefordert hatte, verbreitete sich in unserer Straße wie ein Lauffeuer. Alle würden kommen, sich auf den Bordstein setzen und zuschauen, einschließlich Colin Fitzpatrick, der normalerweise viel zu cool war, bei uns rumzuhängen, weil er lieber zusammen mit den Jungs um die Ecke – die keinem außer ihm dieses Privileg gewährten – auf dem Skateboard durch die Gegend brauste. Gerüchte besagten, dass heute sogar die Skateboard-Gang kommen und zusehen würde.
    In der Nacht vor dem großen Showdown konnte ich nicht einschlafen. Schließlich stand ich wieder auf, zog meine Turnschuhe an und ging hinaus, um an der Gartenmauer King/Queen zu üben. Es nutzte mir nicht viel, denn der Ball prallte völlig unkontrollierbar in alle möglichen unerwünschten Richtungen ab, und außerdem war es so dunkel, dass ich ihn kaum sehen konnte. Nach einer Weile riss dann auch noch Mrs. Smith von nebenan ihr Schlafzimmerfenster auf und streckte ihren Kopf heraus, der voller Lockenwickler war – was mich wunderte, denn morgens waren ihre Haare immer ganz glatt –, und verlangte mit verschlafener Stimme, ich sollte gefälligst mit dem Krawall aufhören. Also kroch ich zurück ins Bett, und als ich endlich in einen unruhigen Schlaf verfiel, träumte ich, dass die Menge eine gekrönte Jenny-May Butler auf den Schultern trug, während Stephen Spencer auf einem Skateboard mit seinem lackierten Fingernagel auf mich zeigte und höhnisch lachte. Ach ja, und ich war nackt.
    Meine Verabredung mit Jenny-May war es, die ihre Eltern irgendwann darauf aufmerksam machte, dass ihre Tochter verschwunden war. In den Sommerferien genossen wir Kinder absolute Freiheit. Wir spielten den ganzen Tag draußen und bekamen reihum in den Nachbarhäusern etwas zu essen, deshalb machte ich Mrs. und Mr. Butler überhaupt keinen Vorwurf daraus, dass ihnen Jenny-Mays Verschwinden zunächst gar nicht auffiel. Niemand machte ihnen Vorwürfe, alle hatten Verständnis und wussten im Herzen, dass ihnen das Gleiche hätte passieren können. Auch ihre eigenen Kinder hätten unbemerkt verschwinden können.
    Jenny-Mays Haus war direkt gegenüber von unserem. Als die Sonne an diesem Sonntagabend untergegangen war, kamen Mum und meine Großeltern wieder ins Haus. Ich wusste, dass sich jetzt alle Kinder am Straßenrand versammelten

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