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Vermiss mein nicht

Vermiss mein nicht

Titel: Vermiss mein nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cecelia Ahern
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zu helfen. Wir lassen Donal nicht im Stich.«
     
    Um zwölf hörte Jack die Nachricht noch einmal ab.
    Um eins hörten seine Finger nach zahllosen Tassen Kaffee zu trommeln auf und ballten sich stattdessen zur Faust, auf die er sein Kinn stützte. Im Verlauf der letzten Stunden hatte er wiederholt den Blick des Cafébesitzers im Rücken gespürt, während er nervös auf seinem Stuhl herumrutschte und die Uhr beobachtete, statt endlich seinen Tisch für eine Gruppe frei zu machen, die bestimmt mehr Geld ausgegeben hätte als er. Um ihn herum füllten und leerten sich die Tische, und jedes Mal, wenn das Türglöckchen klingelte und einen neuen Gast ankündigte, fuhr sein Kopf in die Höhe. Er wusste nicht, wie Sandy Shortt aussah; sie hatte nur in halb scherzhaftem Ton gesagt, sie sei nicht zu übersehen. So füllte sich sein Herz bei jedem Bimmeln mit neuer Hoffnung und wurde schwer, wenn der Blick des Neuankömmlings ihn achtlos streifte und sich jemand anderem zuwandte.
     
    Um halb zwei klingelt das Glöckchen wieder einmal.
    Nach vier Stunden Warten schloss sich die Tür hinter Jack.

Neun
    Fast zwei Tage blieb ich im Wald, joggte hin und her und versuchte, meinen Weg zurückzuverfolgen und meine Anwesenheit hier irgendwie rückgängig zu machen. Ich rannte den Berg hinauf und hinunter, probierte verschiedene Geschwindigkeiten aus, während ich mich zu erinnern versuchte, wie schnell ich gelaufen war, welchen Song ich gerade gehört, woran ich gerade gedacht hatte und wo genau ich gewesen war, als mir der Ortswechsel zum ersten Mal aufgefallen war. Als hätte das irgendeine Rolle gespielt. Hinauf und hinunter, hinunter und hinauf. Wo war der Eingang – und noch viel wichtiger, wo war der Ausgang? Ich wollte mich beschäftigen, ich wollte mich hier nicht niederlassen wie die überall verstreuten persönlichen Gegenstände. Ich wollte nicht enden wie die kaputten Ohrringe, die im langen Gras glitzerten.
    Es ist ziemlich seltsam, zu dem Schluss zu kommen, dass man verschwunden ist, und ich landete beileibe nicht überstürzt bei dieser Erkenntnis, das könnt ihr mir glauben. Anfangs war ich total verwirrt und frustriert, aber mir war ziemlich schnell klar, dass ich nicht einfach nur falsch abgebogen war, sondern dass mir etwas Außergewöhnliches zugestoßen war. Schließlich konnte nicht innerhalb von ein paar Sekunden ein Berg oder ein Wald aus dem Boden schießen, und das auch noch mit Bäumen, die in Irland gar nicht heimisch sind. Das Shannon Estuary konnte nicht von jetzt auf nachher ausgetrocknet und verschwunden sein. Kein Zweifel, ich war irgendwo anders.
    Natürlich überlegte ich, ob ich vielleicht träumte oder ob ich gestürzt war, mir den Kopf angeschlagen hatte und jetzt im Koma lag. Mir ging auch der Gedanke durch den Kopf, die seltsame Beschaffenheit meiner Umgebung könnte darauf zurückzuführen sein, dass das Ende der Welt nahte, und ich stellte kurz auch meine geographischen Kenntnisse über West Limerick in Frage. Nummer eins auf der Liste der möglichen Lösungen war jedoch, dass ich schlicht und einfach den Verstand verloren hatte.
    Aber als ich eine Weile allein dagesessen hatte, fing ich wieder an, rational zu denken, und erkannte, dass ich nicht nur von der schönsten Landschaft umgeben war, die ich je gesehen hatte, sondern auch ganz eindeutig noch am Leben war, dass die Welt außerdem nicht untergegangen, keine Massenpanik ausgebrochen und ich nicht auf einem Müllplatz gelandet war. Doch ich begriff, dass meine Suche nach einem Fluchtweg mir die Sicht darauf versperrte, wo ich mich eigentlich befand. Ich beschloss, mich nicht länger der Illusion hinzugeben, dass ich einen Weg hinaus finden würde, indem ich den Berg hinauf und hinunter rannte. Keine Ablenkungen mehr, die nur die optimale Funktionsfähigkeit meines Verstands blockierten. Ich bin ein logischer Mensch, und die logischste Erklärung unter all den unglaublichen Möglichkeiten war die, dass ich am Leben und gesund, aber schlicht verloren gegangen war.
    Die Dinge sind, wie sie sind.
    Als es an meinem zweiten Tag dunkel zu werden begann, beschloss ich, die außergewöhnliche Umgebung zu erkunden und tiefer in den kiefernnadligen Wald vorzudringen. Zweige knackten unter meinen Turnschuhen, der Boden war weich und federnd, bedeckt von vermoderten Blättern, Baumrinde, Kiefernzapfen und samtigem Moos. Über meinem Kopf waberte Wattenebel um die Baumwipfel. Die hohen dünnen Stämme reckten sich zum Himmel wie Buntstifte –

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