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Vermiss mein nicht

Vermiss mein nicht

Titel: Vermiss mein nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cecelia Ahern
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brauchte.

Sieben
    Um Gloria nicht aufzuwecken, die ihr sonntägliches Ausschlafen offensichtlich sehr genoss, schlich Jack auf Zehenspitzen durch die Wohnung. Behutsam durchwühlte er den Korb mit der Schmutzwäsche, zupfte das am wenigsten zerknitterte Karohemd heraus und tauschte es gegen das aus, das er trug. Er hatte nicht geduscht, weil er Gloria nicht mit dem Rauschen des Boilers und dem Schwirren des Deckenventilators stören wollte. Nicht einmal die Klospülung hatte er betätigt. Zwar war er sich bewusst, dass es nicht nur seine überbordende Großherzigkeit war, die ihn dazu bewog, aber er konnte sich auch nicht wirklich eingestehen, dass er aus genau den entgegengesetzten Beweggründen handelte. Er hielt sein Treffen mit Sandy Shortt nämlich in voller Absicht vor Gloria und dem Rest der Familie geheim.
    Allerdings ging es ihm dabei nicht nur um sich selbst. Die anderen begannen sich allmählich von der Trauer um die beiden Familienmitglieder zu lösen, die sie in diesem schrecklichen Jahr verloren hatten, und bemühten sich, ins normale Leben zurückzukehren. Natürlich verstand Jack dieses Bestreben, denn sie waren inzwischen alle an einem Punkt angekommen, wo es bei der Arbeit nicht mehr als selbstverständlich galt, wenn sie sich einfach mal einen Tag freinahmen, und wo das mitfühlende Lächeln immer mehr einer gewöhnlichen Begrüßung Platz machte. Ihre Arbeitgeber hatten lange genug mit flexiblen Arbeitszeiten jongliert, die Gespräche der Nachbarn drehten sich wieder um die üblichen Themen, die Leute stellten keine Fragen und gaben keine gut gemeinten Ratschläge mehr, die tröstlichen Postkartengrüße blieben aus, und alle kümmerten sich wieder um ihr eigenes Leben. Aber für Jack fühlte es sich einfach nicht richtig an, dass das Leben ohne Donal in den alten Trott überging.
    In Wahrheit war es nicht so sehr Donals Abwesenheit, die Jack daran hinderte, zusammen mit seiner Familie in den Alltag zurückzukehren. Natürlich vermisste er ihn, aber die Trauer würde er irgendwann überwinden, genau wie den Tod seiner Mutter. Es war das Geheimnis, das Donals Verschwinden umgab, die Unsicherheit, die Fragezeichen, die vor seinen Augen tanzten wie die Lichtpunkte, die zurückbleiben, wenn man fotografiert wird und dabei ins Blitzlicht schaut.
    Sacht schloss er die Tür des chaotischen kleinen Bungalows hinter sich, in dem er nun schon seit fünf Jahren mit Gloria lebte. Foynes war ein kleiner Ort mit um die fünfhundert Einwohnern, ungefähr eine halbe Autostunde von Limerick City entfernt. Genau wie sein Vater arbeitete Jack im Shannon Foynes Port, wo er genau wie dieser Fracht verlud.
    Für das Treffen mit Sandy Shortt hatte er sich Glin ausgesucht, eine Ortschaft dreizehn Kilometer westlich von Foynes. Glin besitzt einige architektonisch recht interessante Gebäude, unter anderem Glin Castle, in dem bis heute der Knight of Glin residiert. Im Zentrum des Städtchens liegt ein großer Platz, der sich zum Shannon Estuary hin absenkt. Aber für Jack war am wichtigsten, dass kein Mitglied seiner Familie in diesem Dorf wohnte.
    Um neun Uhr, eine halbe Stunde vor dem vereinbarten Termin, saß er bereits in dem kleinen Café, in dem sie sich verabredet hatten. Am Telefon hatte Sandy erzählt, dass sie zu Verabredungen immer zu früh erschien, und Jack war sowieso schon zappelig und brannte darauf, dieser neuen Suchidee endlich aktiv nachzugehen. Je mehr Zeit sie also miteinander hatten, desto besser. Er bestellte einen Kaffee und starrte auf das letzte Bild von Donal, das vor ihm auf dem Tisch lag. Es war in jeder irischen Tageszeitung veröffentlicht worden und hatte das letzte Jahr sicher an jedem Schwarzen Brett und in jedem Schaufenster des Landes gehangen. Im Hintergrund sah man den weißen Plastikweihnachtsbaum, den seine Mutter jedes Jahr im Wohnzimmer aufstellte; der Schein des Blitzlichts wurde von den Kugeln reflektiert und brachte das Lametta zum Glitzern. Schelmisch grinste Donal zu ihm empor, als wollte er seinen Bruder ärgern, weil er ihn nicht finden konnte. Donal hatte schon als Kind mit Leidenschaft Verstecken gespielt, und um zu gewinnen, manchmal stundenlang in irgendeinem finsteren Loch ausgeharrt. Irgendwann wurden die anderen ungeduldig und erklärten ihn zum Sieger, nur damit er sich endlich zeigte. Die jetzige Suche jedoch war die längste, die Jack je mitgemacht hatte, und er wünschte sich sehr, dass sein Bruder endlich mit dem alten stolzen Lächeln auftauchen und das Spiel

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