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Vermiss mein nicht

Vermiss mein nicht

Titel: Vermiss mein nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cecelia Ahern
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tagsüber malten sie den Himmel hellblau mit Federwölkchen und einer Spur Orange, und jetzt bei Nacht färbten ihre von der heißen Sonne verbrannten Spitzen das Firmament fast schwarz. Millionen Sterne zwinkerten mir zu, und alle kannten sie das Geheimnis dieser Welt. Nur ich nicht.
    Eigentlich hätte ich Angst haben müssen, während ich so ganz allein im Dunkeln durch einen Bergwald wanderte. Aber merkwürdigerweise fühlte ich mich vollkommen sicher, umgeben vom Lied der Vögel, umschwebt vom süßen Duft nach Moos und Kiefernnadeln, eingehüllt in einen magischen Nebel. Ich hatte mich schon häufig in ungewöhnlichen, gefährlichen oder einfach grotesken Situationen befunden. Zu meiner Arbeit gehörte es, dass ich allen Hinweisen nachging, allen Wegen folgte und niemals zuließ, dass ich aus Furcht eine Richtung nicht einschlug, in der ich womöglich jemanden finden konnte. Ich hatte keine Angst, jeden Stein umzudrehen, der auf meinem Weg lag, und ihn mitsamt meinen Fragen in die Luft zu werfen, auch wenn meine Umgebung so instabil war wie ein Glashaus. Wenn jemand verschwindet, geschieht dies gewöhnlich unter Umständen, von denen die meisten Menschen nichts wissen wollen. Im Vergleich zu meinen bisherigen Erfahrungen, bei denen ich oft in die Unterwelt hatte vordringen müssen, war dieses neue Projekt buchstäblich ein Sonntagsspaziergang im Park. Ja, ihr habt richtig gehört – mein Plan war es, einen Weg zurück in mein Leben zu finden.
    Plötzlich hörte ich murmelnde Stimmen vor mir und blieb wie angewurzelt stehen. Seit Tagen hatte ich keinen Kontakt mehr mit Menschen gehabt, und ich konnte ja nicht sicher sein, ob diese hier mir wohlgesinnt waren. Durch die Bäume sah ich das flackernde Licht und die tanzenden Schatten eines Lagerfeuers, und als ich behutsam darauf zuging, entdeckte ich vor mir eine Lichtung. Die Bäume umrahmten einen großen freien Kreis, in dem fünf Menschen saßen, lachten, plauderten und sangen. Ich blieb ein Stück außerhalb des Kreises stehen, unsichtbar im Schatten der riesigen Nadelbäume, wie eine Motte, die sich zögernd dem Licht nähert. Irische Stimmen drangen an meine Ohren, und ich fragte mich, ob ich meine Einschätzung, dass ich mich nicht mehr in Irland und nicht mehr in meinem bisherigen Leben befand, vielleicht doch verwerfen musste. In diesen wenigen Augenblicken zweifelte ich allerdings so ziemlich an allem.
    Da knackte ein Zweig so laut unter meinem Fuß, dass es überall im Wald widerhallte. Sofort brach die Musik ab, und die Stimmen verstummten.
    »Da ist jemand!«, flüsterte eine Frau.
    Alle Köpfe wandten sich mir zu.
    »Hallo!«, rief ein Mann, und seine Stimme klang sehr herzlich, wenn auch etwas aufgeregt. »Kommen Sie! Wir wollten gerade zusammen ›This Little Light of Mine‹ singen.« Die Gruppe quittierte das mit einem kollektiven Ächzen, aber der Mann sprang von dem umgefallenen Baumstamm, auf dem er gesessen hatte, und kam mit ausgebreiteten Armen auf mich zu. Sein Haar war schütter, und von den sorgsam über den Kopf gekämmten Strähnen hatten sich ein paar gelöst und hingen herunter wie zu weich gekochte Spaghetti. Doch er hatte ein freundliches Mondgesicht, daher wagte ich mich beherzt ins Licht und spürte sofort die Wärme des Feuers auf meiner Haut.
    »Es ist eine Frau!«, ertönte wieder das laute Flüstern.
    Ich war nicht sicher, was ich sagen sollte, und jetzt blickte auch der Mann, der auf mich zugegangen war, unsicher zu der Gruppe zurück.
    »Vielleicht kann sie kein Englisch«, zischte die Frau.
    »Ah«, meinte der Mann, drehte sich um und erkundigte sich in Zeitlupe: »Spreeechen Siiiiie Eeeeengliiiiisch?«
    Von der Gruppe antwortete ihm ein Brummen: »Das würde nicht mal das Oxford English Dictionary verstehen, Bernard.«
    Ich grinste und nickte. Jetzt waren alle ganz still, musterten mich, und ich wusste, was sie dachten.
Ist die aber groß!
    »Oh, gut!«, rief der Mann und klatschte in die Hände, hielt sie dabei allerdings eng an der Brust. Auf seinem Gesicht erschien ein noch freundlicheres Lächeln als zuvor. »Wo kommen Sie denn her?«
    Einen Moment zögerte ich, ob ich Erde, Irland oder Leitrim sagen sollte. War ich noch in Irland? Wie kam ich auf den Gedanken, dass ich es nicht war? Aber dann ging ich nach meinem Bauchgefühl und antwortete: »Irland.« Mehr kam nicht aus meinem Mund. Ich hatte ja seit Tagen kein Wort mehr gesprochen.
    »Wunderbar!«, jubelte der Mann, und sein Lächeln wurde so strahlend, dass ich

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