Vermiss mein nicht
Omen.«
»Vielleicht. Bist du der Brücke, über die wir damals gesprochen haben, schon näher gekommen?«
Er lächelte und studierte mein Gesicht so intensiv, dass ich eine Gänsehaut bekam.
»Wenn ich dich zum Essen ausführen darf, sehen wir, wo wir stehen. Falls dein Freund nichts dagegen hat.«
»Mein Freund?«, fragte ich verwirrt.
»Der pelzige junge Mann, der mir vor ein paar Wochen die Tür aufgemacht hat.«
»Ach der«, winkte ich ab. »Das war bloß …« Ich stockte, weil ich mich nicht mehr an seinen Namen erinnern konnte. »Thomas«, improvisierte ich. »Wir sind nicht zusammen.«
Mr. Burton lachte, stand auf und streckte mir die Hände entgegen, um mich hochzuziehen. »Meine liebe Sandy, ich glaube, sein Name war Steve! Aber egal – je eher du die Namen vergisst, desto besser für mich.« Er legte die Hand leicht auf mein Kreuz, und ich spürte seine Berührung wie einen Stromschlag. So führte er mich die Treppe hinauf. »Können wir einen kurzen Umweg über meine Praxis machen? Ich möchte dir etwas geben.«
Stolz stellte er mich seiner Assistentin Carol vor und brachte mich in sein Sprechzimmer. Es roch nach ihm, es sah nach ihm aus, alles hier war Mr. Burton, Mr. Burton. Oh, Mr. Burton! Als ich eintrat und mich auf die Couch setzte, fühlte ich mich, als würde er mich in die Arme schließen.
»Das hier ist ein bisschen besser als das Kabuff von früher, was?«, meinte er lächelnd, während er etwas aus einer Schreibtischschublade holte.
»Es ist toll hier.« Ich konnte mich gar nicht satt sehen und atmete seinen Geruch in vollen Zügen ein.
Als er sich mir gegenüber niederließ, merkte ich, wie nervös er war. »Ich wollte dir das eigentlich schon letzte Woche geben, als ich dich besucht habe, zu deinem Geburtstag«, erklärte er und schob die Schachtel über den Tisch aus Kirschbaumholz. Sie war lang, rot und samtig. Vorsichtig nahm ich sie in die Hand und strich mit dem Finger über die weiche Oberfläche. Ich sah ihn an. Er beäugte die Schachtel. Langsam und mit angehaltenem Atem machte ich sie auf. Darin lag eine glänzende silberne Uhr.
»Oh, Mr. Bur …«, begann ich, aber er packte meine Hand und unterbrach mich.
»
Bitte
, Sandy! Jetzt heißt das Gregory, okay?«
Jetzt heißt das Gregory. Jetzt heißt das
Gregory
.
Jetzt
heißt das Gregory. Es klang wie Musik in meinen Ohren.
Lächelnd nickte ich, nahm die Uhr aus der Schachtel, legte sie um mein linkes Handgelenk und begann am Verschluss herumzufingern, immer noch ganz benommen von dem unerwarteten Geschenk.
»Auf der Rückseite ist dein Name eingraviert«, sagte er und half mir mit zitternden Fingern, die Uhr umzudrehen. Tatsächlich:
Sandy Shortt
. »Damit sie nicht verloren geht.«
Wir lächelten uns an.
»Immer mit der Ruhe«, warnte er, während er mir zusah, wie ich mich mit dem Verschluss abmühte. »Warte, ich helfe dir«, rief er, aber im gleichen Augenblick hörte ich ein Knacken, als wäre etwas zerbrochen.
Ich erstarrte. »Hab ich sie kaputtgemacht?«
Er kam neben mich auf die Couch. Während er an dem Verschluss herumfummelte, berührte seine Haut meine, und alles,
alles
in mir schmolz dahin.
»Nein, sie ist nicht kaputt, nur der Verschluss ist ein bisschen locker. Ich bringe sie zurück und lass ihn reparieren«, schlug er vor und versuchte, sich die Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Was ihm allerdings nicht gelang.
»Nein!« Ich wollte die Uhr um keinen Preis wieder hergeben.
»Sie ist zu locker, Sandy, womöglich geht der Verschluss auf und du verlierst sie.«
»Nein, ich passe auf, ich verliere sie bestimmt nicht.«
Unsicher sah er mich an.
»Wenigstens heute will ich sie anhaben.«
»Na gut.« Endlich saßen wir beide still und sahen uns an.
»Ich wollte dir die Uhr schenken, damit du besser mit deiner Zeit zurechtkommst und nie wieder für drei Jahre den Kontakt zu mir abbrichst.«
Ich sah auf mein Handgelenk, bewunderte das silberne Armband, das Ziffernblatt aus Perlmutt. »Danke, Gregory«, sagte ich, und sein Name fühlte sich wunderbar an in meinem Mund. »Gregory, Gregory«, wiederholte ich ein paar Mal, und er lachte und freute sich darüber.
Wir gingen zusammen essen. Danach wussten wir, wo wir standen.
Die Veranstaltung kam einer Katastrophe verdächtig nahe. Eine Lektion fürs Leben. Falls wir zuvor irgendwelche Wahnvorstellungen gehegt hatten – und das hatten wir beide –, dieser Abend könnte der Beginn von etwas sein, brachte uns die Erkenntnis, dass wir
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