Verneig dich vor dem Tod
bereit?«
»Ich denke schon.«
»Dann laß uns hineingehen!«
Eadulf ging voran bis zu dem Vorhang. Er konnte nicht hindurchsehen. Das Licht, das hindurchdrang, mußte wohl von einer Kerze auf der anderen Seite kommen. Ohne zu zögern, zog er den Vorhang beiseite und betrat das Zimmer. Fidelma folgte ihm auf dem Fuße.
In dem Zimmer, in dem Fidelma während ihres Aufenthalts in Aldreds Abtei eingeschlossen gewesen war, saß ein älterer Mann. Er wandte ihnen den gebeugten Rücken zu und war anscheinend in einige Pergamentblätter vertieft, die vor ihm auf dem Tisch lagen. Mehrere Kerzen erhellten das Zimmer. Der Alte machte sich mit einer kratzenden Feder Notizen.
Es war wohl der Zug vom Gang her, der die Kerzen auf dem Tisch flackern ließ, denn der Inhaber des Zimmers drehte sich um und fuhr auf, als seine hellgrauen Augen sie erblickten.
Offensichtlich war er in seiner Jugend ein schöner Mann gewesen. Er hatte ausgeprägte Gesichtszüge und ein energisches Kinn. Das weiße Haar war dicht. Seine Haltung war die eines Mannes, der zu befehlen gewohnt ist, seine Statur die eines Kriegers, wenn auch das Alter den Rücken etwasgebeugt hatte und seine Hand leicht zitterte, doch so gering, daß es erst bei genauem Hinsehen auffiel.
Er schaute von einem zum anderen, und seine Augen verengten sich leicht.
»Wer seid denn ihr, die ihr euch an mich heranschleicht wie Diebe in der Nacht?« fragte er. Dann, ohne Vorwarnung, donnerte er: »Wache zu mir!« Seine Stimme war trotz seines Alters kräftig und volltönend.
Kaum waren die Worte gesprochen, da flog die Tür auf, und zwei Krieger stürmten mit gezogenen Schwertern herein. Einen Augenblick später schaute der muskulöse, aber stumme Bruder Beornwulf herein und verschwand. Weiter hinten im Gang begann eine Glocke wild zu läuten.
Der Alte erhob sich langsam und musterte sie.
»Wen haben wir denn hier?« Seine Stimme war jetzt ruhig, aber mit einem stählernen Unterton. »Meuchelmörder? Diebe?«
Eadulf setzte zur Antwort an, als auf dem Gang heftige Bewegung entstand.
Abt Cild marschierte ins Zimmer, gefolgt von einem besorgt dreinschauenden Bruder Willibrod, dessen dunkles Auge funkelte. Hinter ihnen stand Bruder Beornwulf und hielt noch die Glocke in der Hand, mit der er die anderen herbeigerufen hatte.
Bei ihrem Anblick setzte Abt Cild ein triumphierendes Lächeln auf.
»Nehmt sie fest!« rief er. »Bevor sie Lord Sigeric ermorden! Jetzt brauchen wir keine Gerichtsverhandlung mehr. Wir führen sie hinaus und hängen sie sofort auf.«
KAPITEL 17
»Wartet!«
Der Alte sprach ruhig, fast leise, aber sein Wort ließ Abt Cild und seine Begleiter innehalten. Der Abt wandte sich ihm zu und erhob Einspruch.
»Lord Sigeric, das sind Ausländer, die in unser Land gekommen sind und Hexerei und Übeltaten begehen …«
Eadulf trat einen Schritt vor.
»Das ist eine Lüge. Ich bin Eadulf von Seaxmund’s Ham, ehemaliger
gerefa
dieses Ortes …«
»Schweig!« brüllte Abt Cild. »Wie kannst du es wagen, den Oberhofmeister ohne seine Erlaubnis anzureden?«
Der Alte musterte Eadulf mit seinen hellen grauen Augen.
»Und jetzt bist du Christ?« Er lächelte dünn. »Wer ist die Frau, mit der du reist?« Sein Blick richtete sich auf Fidelma. »Sie sieht aus wie eine der irischen Missionarinnen, die dieses Land von den alten Göttern abgewendet haben. Denen König Ealdwulf befohlen hat, sein Königreich zu verlassen.«
»Es stimmt, daß Schwester Fidelma aus dem Königreich Muman im Lande Éireann stammt. Ihr Bruder herrscht als König in jenem fernen Land. Doch sie ist nicht als Missionarin hier, sondern als angesehene Anwältin nach irischem Recht.«
Sigeric seufzte leise.
»Ich habe von dem Königreich Muman gehört. Ich habe viel über dieses Land von Missionaren erfahren, die zu uns gekommen sind. Warum habt ihr euch an mich herangeschlichen wie Meuchelmörder? Seid ihr etwa welche? Wolltet ihr mich töten?«
Abt Cild trat einen Schritt vor. Mit lauter Stimme sagteer eifrig: »Lord Sigeric, sie wollten dir bestimmt etwas antun, sonst hätten sie sich nicht an dich herangeschlichen …«
»Das stimmt nicht!« unterbrach ihn Eadulf. »Wir müssen mit dir sprechen …«
Abt Cild hatte Bruder Beornwulf zugenickt, und der machte einen Schritt zu Eadulf hin und schlug ihm ohne Warnung hart auf den Mund, so daß er gegen Fidelma prallte. Er stolperte und fiel zu Boden. Blut lief ihm aus dem Mund. Fidelma beugte sich nieder und half ihm auf.
»Das ist das üble
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