Verneig dich vor dem Tod
Paar, vor dem ich dich gewarnt habe, Lord Sigeric«, fuhr Abt Cild wütend fort. »Die Frau kann Geister herbeibeschwören. Vor ein paar Tagen sind sie meiner Verurteilung entgangen. Laß sie durchsuchen, und du wirst Waffen bei ihnen finden. Sie wollten dich töten. Daran habe ich keinen Zweifel.«
Sigerics Miene drückte jedoch Mißbilligung aus.
»Du hast keinen Zweifel? Nun, vielleicht kann ich ihre Absichten am besten beurteilen, Cild. Es gibt keinen Grund, sie zu mißhandeln. Nach dem Gesetz der Wuffingas hat jeder das Recht, zu seiner Verteidigung zu sprechen. Willst du ihnen dieses Recht verweigern?«
»Lord Sigeric, ich sage …«
»Ich erledige das«, antwortete der scharf. »Und jetzt, Cild, darfst du deine Leute mitnehmen und dies hier mir überlassen.«
Der Abt zögerte einen Moment. Sein Gesicht war noch zorngerötet, und es schien, als wolle er sich mit Sigeric streiten. Dann drehte er sich wütend um und ging wortlos hinaus. Bruder Willibrod und der stumme Bruder Beornwulf folgten ihm.
Fidelma wischte Eadulfs blutenden Mund mit einem Tuchab, das sie aus einem Wasserkrug befeuchtet hatte. Sie wandte sich an Sigeric.
»Ich danke dir für dein Dazwischentreten.«
Sigeric lehnte sich zurück, und seine Miene blieb ernst.
»Du wirst vielleicht bald keinen Grund mehr haben, mir zu danken, Schwester Fidelma. Ich gehe gnadenlos gegen alle vor, die unsere Gesetze brechen, seien sie von hoher oder niederer Geburt, Einheimische oder Ausländer.«
»Doch ich habe gehört, daß du ein Richter mit gesunden Grundsätzen bist, der nach Wahrheit und nach Gerechtigkeit für alle strebt, seien sie von hoher oder niederer Geburt, Einheimische oder Ausländer«, erwiderte Fidelma mit einem leichten Lächeln.
»Ich bin auch nicht empfänglich für Schmeichelei, insbesondere von einer hübschen Frau«, knurrte Sigeric. Er wandte sich an Eadulf. »Nun, Eadulf von Seaxmund’s Ham – bist du in der Lage, auf meine Fragen zu antworten?«
Eadulf nahm Fidelma das Tuch aus der Hand und richtete sich vor dem Oberhofmeister des Königs von Ost-Angeln auf. Er betupfte seinen blutigen Mund.
»Ich kann nur die Wahrheit sagen, so wie ich sie kenne, Lord Sigeric.«
»Das ist alles, was ein Mensch tun kann«, stimmte ihm Sigeric ernst zu. Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, legte die Hände mit den Fingerspitzen aneinander und blickte von einem zum anderen. »Zu welchem Zweck seid ihr hergekommen?«
»Um an dich zu appellieren«, antwortete Eadulf. »Du bist unsere einzige Hoffnung bei unserer Suche nach der Wahrheit an diesem Ort.«
»Ich habe seltsame Geschichten über euch von Abt Cild gehört«, erwiderte Sigeric. »Mir wurde gesagt, ihr beide hättet euch den Eintritt in die Abtei erzwungen, und von dem Augenblick an habe es viele böse Vorzeichen gegeben. Der Abt erklärt, die Irin habe einen Geist beschworen, der ihn verfolge. Als er sie der Hexerei beschuldigte, wäret ihr beide aus seiner Haft und der Abtei entflohen. Jetzt erscheint ihr plötzlich, wer weiß woher, und schleicht euch in mein Zimmer. Euer Ziel – sagt der Abt – sei es, mich zu töten. Ihr leugnet das. Nun gut. Was habt ihr zu sagen?«
»Es stimmt nicht«, antwortete Eadulf einfach.
Sigeric seufzte und nickte langsam.
»Natürlich stimmt es nicht.« Er lächelte spöttisch. »Keine Beschuldigung hat jemals gestimmt, jedenfalls wenn man den Beschuldigten hört. Ihr müßt mich aber davon überzeugen, daß es nicht stimmt.«
»Darf ich das erklären«, begann Fidelma, doch Sigeric hob die Hand.
»Man hat mir gesagt, daß in deiner Kultur, Schwester Fidelma, Frauen ebenso das Recht haben, gehört zu werden, wie Männer. Bei unserem Volk ist das nicht so. Ich werde nur Eadulf von Seaxmund’s Ham anhören.« Er wandte sich Eadulf zu, der angesichts Fidelmas Miene verlegen errötet war.
»Lord Sigeric«, begann er zögernd, »wie ich schon sagte, ist Schwester Fidelma in ihrem Land eine ausgebildete Anwältin. In Whitby wurde sie von König Oswy von Northumberland gebeten, in ihrer juristischen Eigenschaft tätig zu werden, und dasselbe geschah sogar durch den Heiligen Vater, als sie sich in Rom aufhielt …«
Sigeric schüttelte den Kopf. »Ich zweifle nicht an deinerguten Absicht, Eadulf, aber diese Orte liegen in anderen Ländern. Wir befinden uns hier im Königreich Ost-Angeln, und warum sollte ich mich nicht nach unseren Gesetzen und Bräuchen richten? Ich darf dich daran erinnern, daß dies die Gesetze der Wuffingas sind. Also,
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