Verneig dich vor dem Tod
schlossen sich wie zum eigenen Schutz instinktiv enger zusammen und drückten ihre Hände noch fester. Sollte dies ein mitternächtlicher Prozeß werden, bei dem sie im voraus verurteilt wären?
Als sie sich dem Altar näherten, erblickte Eadulf Bruder Willibrod, der in einer nahen Bank zusammengesunken saß. Seine Schultern zuckten unkontrolliert, und Eadulf bemerkte zu seiner Überraschung, daß der
dominus
untröstlich schluchzte. Eadulf wechselte einen erstaunten Blick mit Fidelma. Sigeric beachtete den
dominus
nicht. Er führte sie weiter zu einer kleinen Gruppe vor dem Hochaltar.
Fidelma und Eadulf erkannten, daß Bruder Higbald sich über etwas beugte, was nahe dem Altar lag. Bruder Beornwulf war ebenfalls dort und stand mit finsterem Gesicht hinter ihm.
An einer Seite saß eine andere Gestalt, von einigen Mönchen umgeben. Auch einer von Sigerics Kriegern gehörte zu der Gruppe. Als sie sich näherten, traten die Mönche etwas auseinander und wandten sich zu ihnen um. Nun konnte man sehen, daß die in der Mitte sitzende Gestalt Abt Cild war.
Sigeric blieb vor ihm stehen. Fidelma und Eadulf stellten sich neben ihn.
Abt Cild blickte zu ihnen auf. Auf seinem normalerweise grimmigen Gesicht lag ein sinnloses Lächeln. Er kicherte wie ein Kind. Eadulf hatte noch nie etwas gesehen, was ihn derart beunruhigte. Es war ein furchteinflößender, unangenehmer Anblick, dieser seltsame, leere Ausdruck in dem Gesicht des Abts.
Dann bemerkten sie, daß seine Kleidung blutbesudelt, ja förmlich von Blut durchtränkt war. Blut klebte auch an seinen Händen, die er vorstreckte und drehte und rang.
Die Augen des Abts waren blicklos, und er schien zwar ihre Gegenwart vor ihm wahrzunehmen, sie jedoch nicht als einzelne Personen zu erkennen. Er wußte, sie waren da, und deshalb lächelte er sie an.
»Ich bin frei.« Die Worte wurden zwischen dem Kichern hervorgestoßen. »Ich habe mich von dem Geist erlöst, der mich verfolgt hat.«
Eadulf schaute Sigeric an, doch der Alte blieb unbewegt.
»Der Dämon, das Gespenst, das herbeibeschworen wurde, um mich zu peinigen«, fuhr der Abt fort. »Ich habe es vernichtet. Habe es umgebracht. Es war so einfach. Jetzt bin ich frei.«
Eadulf merkte, daß unter den Mönchen, die den Abt umstanden, auch Bruder Redwald war. Er schaute dem jungen Mann in das entsetzte Gesicht. Redwald erwiderte seinen Blick. Sein Gesicht war totenbleich und seine Lippen zitterten, als er den Blick dorthin wendete, wo Bruder Higbald sich niederbeugte. Eadulf und Fidelma drehten sich um und starrten auf das, was dort auf dem Boden lag. Es war ein schlanker Körper. Der Leichnam eines Mädchens mit rotgoldnem Haar.
»Es ist Gélgeis.« Bruder Redwalds hysterischer Schrei schallte durch die Kapelle. »Sie ist tot. Aber sie war vorher schon tot. Doch jetzt ist sie wieder tot. Der Abt hat den Geist von Gélgeis getötet!«
KAPITEL 18
Eadulf ließ Fidelmas Hand los und ging nach vorn, wo Bruder Higbald sich immer noch über die Leiche beugte. Der Apotheker blickte auf. Eadulf war überrascht von dem Zorn in seinem Gesicht. Higbald schien etwas zu ihm sagen zu wollen, doch dann schaute er rasch zur Seite. Eadulf sah sich die Züge des toten Mädchens aus der Nähe genau an. Danach wandte er sich dem schluchzenden Bruder Redwald zu, der sich bemühte, ein Gefühl zu meistern, von dem Eadulf wußte, daß es nicht Kummer war.
»Komm her«, befahl ihm Eadulf in einem scharfen, gebieterischen Ton, der die Umstehenden überraschte.
Der junge Mann gehorchte unwillkürlich. Er schlurfte zu Eadulf hin und stellte sich neben ihn. Sein Gesicht zuckte nervös.
»Hab keine Angst, mein Sohn.« Plötzlich war Eadulfs Ton sanft, doch fest. »Dieser Körper blutet zu stark, als daß er ein Geist sein könnte. Ich möchte, daß du dir das Gesicht ansiehst.«
Bruder Redwald starrte ihn mit großen, bittenden Augen an.
»Das kann ich nicht, Bruder …«
»Schau hin!« fuhr ihn Eadulf an. Widerwillig senkte der junge Mann den Blick zu der Leiche.
»Sag uns allen, ist das Gélgeis? Du hast behauptet, daß du sie gut gekannt hast. Ist sie das?«
Bruder Redwald schloß die Augen und vermied es, die Leiche anzusehen. Er nickte nur heftig und trat rasch zurück.
»Willst du damit behaupten, daß dies eine Frau ist, die schon über ein Jahr tot ist?« knurrte Sigeric zornig. »Denk nach, Junge. Dies ist ein leibhaftiger Leichnam und kein Geist.«
Bruder Redwald weinte verschüchtert und schwieg.
»Dieser junge Mann ist als
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