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Verneig dich vor dem Tod

Verneig dich vor dem Tod

Titel: Verneig dich vor dem Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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gerötet vom Weinen. Neben ihm saß der junge Bruder Redwald mit blassem, verstörtem Gesicht. Ab und zu erschauerte er.
    Sigeric räusperte sich und flüsterte Fidelma zu: »Bistdu nun bereit, uns über diese Angelegenheit aufzuklären, Schwester?«
    »Ja«, antwortete sie fest.
    Sogleich erhob sich Sigeric, und es trat eine erwartungsvolle Stille in der Kapelle ein. Obwohl es nicht erforderlich war, klopfte er mit seinem Amtsstab auf den Boden.
    »Die meisten von euch kennen mich«, begann er in einem schroffen Tonfall, der ihm die Aufmerksamkeit aller sicherte. »Ich bin Lord Sigeric, Oberhofmeister Ealdwulfs, des Königs der Ost-Angeln. Ich bin hierher gesandt, um nach dem Gesetz der Wuffingas Recht zu sprechen. Ihr alle seid auf mein Wort hin sicher hergekommen, und ihr könnt in Sicherheit wieder gehen, sofern nicht jemand unter euch ist, der sich eines Verbrechens schuldig gemacht hat im Zusammenhang mit den Todesfällen, die sich in dieser Abtei ereignet haben, oder des Verrats an diesem Königreich schuldig ist. Ich nehme an, ich habe mich klar genug ausgedrückt?«
    Er hielt inne, und da ihm niemand antwortete, wies er mit der Hand auf Fidelma.
    »Ihr alle mögt wissen, daß dies Fidelma ist, die Schwester des Königs von Muman im Lande Éireann. Man hat mir berichtet, daß sie in ihrer Heimat eine angesehene Anwältin ist. Auch außerhalb der Grenzen ihres eigenen Landes ist sie, so von König Oswy von Northumberland, zu Rate gezogen worden, auch von dem Oberhaupt eurer christlichen Religion, der im fernen Rom lebt. Obwohl ich das Gesetz der Wuffingas vertrete, das Frauen keine amtliche Stellung zugesteht, und ich dem alten Glauben anhänge, habe ich mich damit einverstanden erklärt, daß Fidelma von Cashel unter meinem Vorsitz die Vollmacht erhält, die Wahrheitüber die Dinge zu erforschen, die sich in der Abtei ereignet haben. Niemand hier darf sich dieser Vollmacht widersetzen, denn damit widersetzt er sich meiner Amtsgewalt und der des Königs, den ich vertrete. Ist das klar?«
    Wieder trat Schweigen ein, während sich alle überrascht ansahen, doch niemand etwas sagte. Die Angeln und Sachsen waren im ersten Moment entsetzt über das, was Sigeric verkündete. Daß eine Frau vor ihnen einen Prozeß führte, widersprach allen ihren Erfahrungen. Sigeric faßte ihr verblüfftes Schweigen einfach als Zeichen ihrer Zustimmung auf. Er setzte sich wieder und winkte Fidelma, seinen Platz vor der Versammlung einzunehmen.
    Fidelma hatte schon vor größeren und hochrangigeren Zusammenkünften plädiert und hatte keine Scheu, zu einer Zuhörerschaft zu reden, die zugleich überrascht und feindselig war.
    Anscheinend waren nur Gadras Gruppe und die irischen Mönche nicht verwirrt dadurch, daß Fidelma aufgefordert wurde, die Verhandlung zu führen. Viele von ihnen lächelten, erfreut darüber, daß eine Vertreterin ihres eigenen Rechtssystems den Fall vortragen sollte.
    »Ein Sprichwort meines Volkes sagt«, begann Fidelma, »daß ein Übel wie eine Nadel eindringt und wie eine Eiche wächst. Es hat wahrlich ein großes Übel innerhalb dieser Mauern gegeben.«
    Diese nachdrückliche Eröffnung fesselte die Aufmerksamkeit aller, und das Gemurmel, das sich bei den Angeln und Sachsen erhoben hatte, als sie vortrat, ebbte langsam ab. In der eintretenden Stille war nur das Flüstern Bruder Laisres zu hören, der es übernommen hatte, die Reden für Gadra aus dem Sächsischen ins Irische zu übersetzen. Garbverstand die Sprache anscheinend gut genug, um der Verhandlung folgen zu können.
    »Es ist angemesen, daß wir heute, am Tag des Festes der Unschuldigen Kinder, hier versammelt sind. An diesem Tag erinnern wir uns an die Kinder von Bethlehem, die auf Befehl des Königs Herodes getötet wurden, der damit das Kind Jesus vertilgen wollte. An diesem Tag gedenken wir des unschuldigen Blutes, das vergossen wurde. Welcher Tag wäre besser geeignet, Rechenschaft zu fordern für das unschuldige Blut, das hier vergossen wurde?«
    Sie hielt inne und sammelte ihre Gedanken.
    »Es hat verschiedene Mordtaten gegeben, die innerhalb dieser Mauern geschahen oder von ihnen ausgingen. Diese Mauern sind fast vom Blut getränkt. Das ziemt sich nicht für ein Haus religiöser Andacht. Ich habe schon bald nach meiner Ankunft hier erfahren, daß die ursprünglichen Brüder verjagt und einige von ihnen hingerichtet worden sind. Bruder Pol zum Beispiel wurde als Ketzer vor dem Tor gehängt. Wir haben gehört, daß auch die Frau des Abts,

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