Verneig dich vor dem Tod
einsam und unglücklich, zu Tode kam. Manche behaupten, sie habe durch die Hand ihres Gatten den Tod gefunden, andere meinen, sie sei in einen nahen Sumpf geraten und habe ein tragisches Ende genommen.
Man hat uns berichtet, daß in den letzten sechs Monaten die Menschen dieser Gegend Überfällen auf ihre Bauernhöfe und Heimstätten ausgesetzt waren. Der hiesige Bauer Mul, der heute anwesend ist, verlor seine Frau und seine beiden Kinder durch die Waffen dieser Räuber.
Bruder Eadulfs Freund, Bruder Botulf, bat uns herzukommen, weil er Hilfe brauchte. Am Vormittag des Tages, an dem wir eintrafen, wurde er ermordet. Vor zwei Tagenwurden Botulfs Vetter, einer von Aldheres Geächteten, und mehrere andere seiner Männer getötet. Es gibt Anzeichen dafür, daß sie von Brüdern dieser Abtei umgebracht wurden, und Mul kann ebenfalls berichten, daß Spuren auf seinem Hof darauf hindeuten, daß der Überfall von Mönchen dieser Abtei verübt wurde.«
Das rief ein erstauntes Gemurmel bei vielen der Brüder hervor, während die Männer Aldheres und Gadras den Mönchen der Abtei zornige und drohende Blicke zuwarfen.
Fidelma hob die Hand und forderte Ruhe.
»Während all dieser Gewalttaten behauptete der Abt, er werde vom Geist seiner Frau Gélgeis verfolgt.«
»Gottes Gerechtigkeit!« rief Bruder Tola aus den Reihen der irischen Mönche dazwischen. »Der Schatten einer gequälten und ermordeten Frau. Möge er ihn bis in die Hölle verfolgen!«
Ein unruhiges Murren erhob sich, und wieder mußte Fidelma mit erhobenen Händen Ruhe schaffen.
»So besessen war Abt Cild davon, daß er mich sogar beschuldigte, ich hätte dieses Gespenst heraufbeschworen, das nun anscheinend in der Abtei umging. In der letzten Nacht begegnete ihm eine junge Frau, die er für diesen Geist hielt, und in seinem Wahn zog er ein Messer und erstach sie.«
Sie sah Bruder Redwald dasitzen und zittern.
»Sie war es«, flüsterte er so laut, daß man ihn verstand. »Es war Lady Gélgeis. Ich habe sie gesehen.«
Gadra sprang mit zornerfülltem Gesicht auf, als er die Übersetzung vernahm.
»Was soll dieser Unsinn?« rief er. »Meine Tochter wurdeschon vor Monaten von Cild ermordet. Wer sagt da, sie wäre in der letzten Nacht erstochen worden?«
»Still, Gadra von Maigh Eo«, erwiderte Fidelma. »Die Sache wird aufgeklärt, aber alles zu seiner Zeit. Unser Geheimnis besteht aus mehreren Fäden – getrennten Fäden, die sich wie nach einem vorbestimmten Muster verwickeln und an diesem düsteren Ort zusammenkommen. Ich werde einen nach dem anderen aufrollen, oder es jedenfalls nach besten Kräften versuchen. Ich habe das Wort des Oberhofmeisters Sigeric, daß niemand dieses Verfahren zu fürchten braucht, wenn er nicht direkt des Verrats oder gewaltsamer Tötung schuldig ist.«
Sigeric nickte von seinem Sitz aus.
»Ich habe meine Absicht klar ausgedrückt«, verkündete er mit Bestimmtheit. »Mach weiter.«
»Beginnen wir mit einem Gebiet, auf dem ich mich recht gut auskenne, Gadras
troscud
. Gadra.« Sie sprach ihn direkt an.
Der alte Fürst von Maigh Eo erhob sich wieder von seinem Sitz.
»Du kennst die Bedingungen des rituellen Fastens sehr gut, Schwester Fidelma. Du kannst es mir nicht ausreden.«
»Allerdings nicht. Aber du hast gehört, daß Abt Cild geistesgestört ist. Das Gesetz im Text
Do Brethaibh Gaire,
das dazu gedacht ist, die Gesellschaft vor den Geisteskranken zu schützen und die Geisteskranken vor der Gesellschaft, legt fest, daß du nicht gegen jemanden fasten kannst, der geisteskrank ist.«
Während sie zu ihm sprach, war sie ins Irische gewechselt, und Eadulf übersetzte für die Zuhörer, die kein Irisch verstanden.
Gadra ließ sich nicht beirren.
»Sollte es sich erweisen, daß Cild geisteskrank geworden ist – und das Gesetz verlangt diesen Beweis –, dann berührt das nicht mein Bestreben, Gerechtigkeit zu erlangen.«
»Inwiefern?« erwiderte Fidelma, die das sehr gut wußte, es ihm aber überlassen wollte, den Versammelten das Gesetz zu erklären.
»Weil das Verbrechen an meiner Tochter Gélgeis begangen wurde, als er noch geistig gesund war. Deshalb ist er vor dem Gesetz weiterhin verantwortlich dafür, und die Entschädigung für den Tod meiner Tochter muß trotzdem gezahlt werden.«
»Aber ein
dásachtarch
« – Fidelma benutzte den juristischen Begriff für einen Geisteskranken mit gewalttätigen und zerstörerischen Launen – »ist nicht haftbar.«
»Nein, aber seine Verwandtschaft ist es«, erwiderte
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