Verneig dich vor dem Tod
Gélgeis. Ihre Erscheinung verfolgte Abt Cild. Dann gab es das Schlachtopfer einer schwarzen Katze auf dem Hochaltar, das ihn auch an ein Ereignis in seiner irren Jugend erinnerte. Dieser Geist verfolgte ihn, bis er ihn völlig in den Wahnsinn trieb, mit dem Ergebnis, daß er Lioba tötete und sich dann das Leben nahm.«
»Wir haben gehört, daß Lioba in der Abtei umging«, bestätigte Sigeric. »Also bestand dieser Geist aus Fleisch und Blut?«
»Allerdings. Das angebliche Gespenst haben mehrereZeugen gesehen, auch ich. Als ich gestern vormittag mit Eadulf und Mul im Moor war, fand ich Beweise dafür, wie eine dieser Erscheinungen zustande gebracht wurde, und Spuren davon, wie sie in ein gespenstisches Licht getaucht wurde.«
»Welchen Zweck verfolgten diese falschen Geistererscheinungen?« wollte Gadra wissen.
»Genau den, den sie auch erreichten: Cild in den Wahnsinn zu treiben.«
»Warum?«
»Als Racheakt für die Grausamkeiten, die er begangen hatte.«
Sigeric beugte sich vor.
»Lioba spielte diese Rolle? Aber welche Grausamkeiten hatte er ihr denn zugefügt?« fragte er.
»Neulich abends, als Eadulf und ich beobachteten, wie Abt Cild mit Bruder Willibrod und anderen am Moor wartete – ihr erinnert euch, daß Higbald sie dort hinbestellt hatte, weil er sie töten und Aldhere die Schuld zuschieben wollte, so, wie er Wiglaf und seine Männer tötete und die Schuld auf Abt Cild schob –, während wir also dort zuschauten, erschien das Bild von Gélgeis zu Pferde auf dem Moor …«
»Das stimmt, das stimmt«, rief Bruder Willibrod. »Aber das war kein gewöhnlicher Mensch! Sie glühte! Es war ein Geist!«
»Das war es nicht. Wie gesagt, am nächsten Morgen gingen wir zu der Stelle und fanden den Beweis, daß eine lebendige Frau dort zu Pferde gehalten hatte. Sie hatte sich mit einem besonderen Ton eingerieben, der glüht und nahes Licht zurückwirft … Das Licht, das das
ignis fatuus
liefert.
«»Worauf willst du jetzt hinaus, Fidelma?« fragte Sigeric.
»Kurz nachdem diese Erscheinung Abt Cild in die Flucht geschlagen hatte, tauchten Higbald und seine Männer auf – und Lioba war bei ihnen. Diese Erscheinung war also nicht Lioba gewesen. Bruder Redwald hat recht, wenn er erklärt, Lioba habe nur eine oberflächliche Ähnlichkeit mit Gélgeis – und daß er sich absolut sicher sei, daß es Gélgeis war, die er sah, wie sie sich über mich beugte, als ich im Fieber lag.«
Langes Schweigen trat ein.
Fidelma wandte sich an Gadra. »Du siehst, Gélgeis ist nicht in Hob’s Mire umgekommen. Sie lebt und wollte sich an Cild rächen – und geholfen hat ihr bei dieser Rache der Mann, der ihr Trost bot in ihrem Elend und bei dem sie lebt.«
Gadra schüttelte den Kopf, als könne er das alles nicht begreifen, was sie sagte.
»Das verstehe ich nicht.«
Fidelma wandte sich an Aldhere. »Sag mal, Aldhere, hat Botulf jemals mit dir über Gélgeis’ Schwester Mella gesprochen? Hat er dir die Nachricht gebracht, die Gélgeis erfuhr, kurz bevor sie die Abtei verließ an dem Abend, als sie verschwand?«
»Nachricht?« Aldhere war verwirrt.
»Hat Botulf dir erzählt, daß Mella von einem sächsischen Sklavenhändler entführt worden und umgekommen war?«
»Nein, warum sollte …?« Plötzlich schloß er den Mund. Fidelma wandte sich an die Frau neben ihm.
»Würdest du jetzt bitte den Schleier ablegen, Gélgeis?« Die Fränkin Bertha erhob sich langsam. Dann zog sie denSchleier beiseite, zusammen mit einer flachsblonden Perücke, und zeigte ein kleines blasses Gesicht und rotes Haar. Sie lächelte Fidelma an, aber mit einem haßerfüllten Lächeln, und verneigte sich vor ihr.
Es dauerte eine Weile, bis sich der Aufruhr legte.
Danach nahm Gélgeis das Wort, sie sprach langsam und kühl.
»Du bist sehr schlau, Fidelma von Cashel. Wie kamst du dahinter?«
»Ich schöpfte Verdacht, als Bruder Eadulf die Narbe am Arm der Frau bemerkte, die sich Bertha nannte, und als Garb uns erzählte, Bruder Pol habe die Narbe am Arm von Gélgeis gesehen, die Cilds Peitsche hinterlassen hatte. Wenn Bertha und Gélgeis ein und dieselbe Person waren, dann formte sich daraus ein Bild. War es deine Absicht, Cild in den Wahnsinn zu treiben, als du anfingst, als dein eigener Geist zu erscheinen?«
»Ich habe Cild nicht in den Wahnsinn getrieben – er war schon wahnsinnig, als ich ihn heiratete, nur merkte ich es nicht. Er war auf das Geld und die Stellung aus, die ihm, wie er glaubte, die Heirat mit mir verschaffen würde.
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