Verneig dich vor dem Tod
dann ist seine Familie, in diesem Falle die Abtei, dazuverpflichtet. Das
troscud
gebe ich nicht auf, bis ich für den Verlust meiner Tochter entschädigt bin.«
Fidelma seufzte leise.
»Du bist ein strenger Mann, Gadra.«
»Ich bin Gadra von den Uí Briúin, Fürst von Maigh Eo!« erwiderte er mit Würde.
»So sei es denn.« Fidelma hielt inne. »Ich sagte zu Anfang, daß ich den Fall Schritt für Schritt aufrollen würde. Lord Sigeric, gehst du uns bitte voran in die Krypta, wo der Leichnam des von Abt Cild erstochenen Mädchens aufgebahrt ist?«
Der Alte erhob sich mit ratloser Miene. Er hatte längst die Hoffnung aufgegeben, Fidelmas Beweisführung vorausschauen zu können.
»Gadra und Garb – ich möchte, daß ihr beide mit uns kommt. Auch dich, Bruder Willibrod, und dich, Bruder Redwald, brauche ich dabei. Ihr alle habt Gélgeis und das Mädchen namens Lioba gekannt.«
Eadulf hatte darauf zu achten, daß während ihrer Abwesenheit niemand die Kapelle verließ.
In düsterer Prozession wanderten sie die kurze Treppe hinunter in die Krypta. Auf einem Steintisch lag der Leichnam des Mädchens für die Beisetzung aufgebahrt.
Gadra und Garb stutzten überrascht, als sie das rote Haar und die schlanke, bleiche Gestalt der Toten sahen.
»Beim …«, setzte Gadra an und trat rasch vor, doch dann seufzte er und schüttelte den Kopf. »Es besteht eine oberflächliche Ähnlichkeit, Fidelma, doch du irrst dich, wenn du glaubst, das wäre meine Tochter. Ich weiß nicht, wer dieses arme Mädchen war, aber ich weiß, daß es nicht Gélgeis ist.«
Auf Fidelmas unerbittliches Drängen hin trat Bruder Redwald heran, beugte sich vor und lief rot an.
»Nun?« forschte sie. »Was hast du zu sagen?«
Der junge Mann schaute ängstlich drein.
»Im Schatten hätte ich geschworen … Sie sieht ihr so ähnlich. Vielleicht habe ich mir die Ähnlichkeit eingebildet, als sie sich im Zimmer über dich beugte.«
»Aber dies ist nicht Gélgeis, so wie du sie in Erinnerung hast?«
Der junge Mann schüttelte den Kopf.
Fidelma wandte sich zu Bruder Willibrod um.
»Doch du kannst bestätigen, daß es Lioba ist, nicht wahr?«
Bruder Willibrod bemühte sich nach Kräften, seine Miene zu beherrschen und das Zittern seiner Lippen zu unterdrücken. Er nickte. Dann stieß er einen langen Seufzer aus.
»Das ist Lioba. Es war nie eine Frage, daß es Gélgeis sein könnte. Ich habe Lioba geliebt. Jetzt laß uns von hier fortgehen, und ich sage dir alles, was du wissen willst.«
Als sie in die Kapelle zurückgekehrt waren, übernahm Fidelma die Erklärung.
»Die Tote ist nicht Gélgeis, sondern ein Mädchen aus dieser Gegend namens Lioba, das eine oberflächliche Ähnlichkeit mit Gélgeis besitzt«, verkündete sie. Sie wandte sich an Bruder Willibrod. »Bestätigst du das?«
Er stand mit gesenktem Kopf da, während sich alle wieder auf ihre Plätze setzten.
»Mehrere Mitglieder der Abtei kannten Lioba. Sie war die Tochter eines Bauern oben in den Bergen hinter der Abtei, und ihre Mutter war eine Sklavin, die bei einem Überfall an der Küste von Éireann gefangengenommen wurde.«
»Sprach sie beide Sprachen?« erkundigte sich Eadulf.
»Irisch ebenso wie Sächsisch?«
Bruder Willibrod nickte.
»Und du warst ihr Liebhaber? Du hast das Gebot des Zölibats, das Abt Cild durchsetzen wollte, mißachtet?«
Wieder senkte der
dominus
den Kopf und nickte.
»Wie oft kam Lioba in die Abtei?« setzte Eadulf auf ein Zeichen Fidelmas hin die Befragung fort.
»In die Abtei?« Bruder Willibrod zuckte die Achseln. »Ab und zu. Nicht oft. Doch ich traf mich mit ihr in der Hütte ihres Vaters, ein Stück weit von hier im Wald.«
»Denk über diese Frage gut nach, Bruder Willibrod«, ermahnte ihn Eadulf. »Beantworte sie mit dem Verstand und nicht mit dem Gefühl, denn ich weiß, du hattest starke Gefühle für das arme Mädchen.«
Willibrods Augen funkelten einen Moment.
»Die hatte ich«, murmelte er.
»Worüber hast du mit Lioba gesprochen? Interessierte sie sich für das, was in der Abtei geschah? Interessierte sie sich noch für jemanden hier?«
»Was willst du damit sagen?« schrie Bruder Willibrod in plötzlich ausbrechendem Zorn.
»Was ich sagen will«, antwortete Eadulf ruhig, »ist, daß manche Leute meinten, Lioba habe ihre Gunst nicht nur den Brüdern, sondern auch Aldheres Männern verkauft.«
»Das ist eine Lüge! Eine Lüge!« schrie der
dominus
erbost
.
»Sie liebte mich. Es stimmt, ich machte ihr kleine Geschenke. Sie stand
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