Verneig dich vor dem Tod
gestohlen. Jemand soll gesehen haben, wie Aldhere die Abteiverließ, doch niemand sagt mir, wer das war. Vielleicht Bruder Osred? Der nach deinen Worten den Leichnam Botulfs gefunden hat?«
Bruder Willibrod lächelte düster. »Du warst zu lange im Ausland, Bruder. Du hast vergessen, daß wir hier unter Tieren leben. Du tötest oder du wirst getötet. Wenn jemand das Land oder die Frau eines anderen begehrt und er ist stark, dann nimmt er sich, was er will. Der Schwache ist immer der Verlierer.«
»Der Glaube hat doch unsere heidnischen Sitten gebessert«, wandte Eadulf ein.
»Nur so weit, wie wir es erlaubt haben. Einigen ist es unmöglich , sich zu ändern.
Naturam expelles furca tamen usque recurret.
«
»Treib die Natur mit der Forke hinaus: Stets kehret sie wieder«, übersetzte Eadulf, um zu beweisen, daß er verstanden hatte.
»Unser Glaube mag sich ändern, aber nicht unsere Sitten.«
»Ihr sollt aber doch Christus nachfolgen.«
»Das können wir nur, wenn wir lange genug auf dieser Erde bleiben. Gesetzlose wie Aldhere wollen nicht, daß die Abtei überlebt. Er ist ein tollwütiger Hund.«
»Also hat der Hund einen schlechten Ruf, und deshalb wird er gehängt? Seine Schuld oder Unschuld spielt dabei keine Rolle?«
»Wenn er dieser Tat nicht schuldig ist, dann irgendeiner anderen. Was gibt es da für einen Unterschied?«
Eadulf war daran gelegen, daß der Mörder seines Freundes gefunden und bestraft und daß gegen jeden Verdächtigen nach dem Gesetz verfahren würde. Er gelobte sich, daßer, falls der Abt wirklich am nächsten Tag eine Verfolgerschar ins Moorland führte, dabei wäre, um dafür zu sorgen, daß der Gerechtigkeit Genüge getan würde. Der Gerechtigkeit, nicht der blindwütigen Rache.
»Und mit solcher Logik gelangen wir ins Paradies?« entgegnete er scharf. »Komm,
dominus,
ich möchte den sprechen, der anscheinend der einzige Zeuge im Fall des Mordes an Bruder Botulf ist. Die Angelegenheit ist zu ernst für eine Behandlung nach Vorurteil. Eine Fehlentscheidung würde ein schlechtes Licht auf die Abtei werfen und auf jeden, der dazu beigetragen hat, die Gerechtigkeit zu verhindern.«
Bruder Willibrod zögerte einen Moment, dann gab er nach.
»Bruder Wigstan war derjenige, der Aldhere sah. Er wird heute abend bei der Beerdigung sein. Findest du jetzt den Weg zum Gästehaus allein?«
Eadulf nickte, und Bruder Willibrod wandte sich abrupt um und eilte davon.
Als Eadulf zum Gästehaus zurückkehrte, ging er sofort in Fidelmas Zimmer und fand sie mitten in einem Hustenanfall. Er brachte ihr Wasser, und sie schaute ihn aus geröteten Augen an.
»Was gäbe ich für ein gutes irisches Schwitzbad«, murmelte sie. »Eine rauhe Kehle, Niesen und Husten, und alles wegen dieses fürchterlichen Klimas. So kaltes Wetter habe ich noch nirgends erlebt.«
»Das kommt daher, weil das Land so niedrig liegt«, erklärte ihr Eadulf. »Nichts schützt uns vor dem eisigen Nordwind von der See her. Keine Berge halten ihn auf.«
»Und das führt nun dazu, daß ich erkältet bin.«
Eadulf hatte an der großen irischen Hochschule von Tuaim Brecáin Medizin studiert und kramte schon in einer seiner Taschen.
»Solange wir ein Feuer haben und folglich Wasser heiß machen können, ist nicht alles verloren.« Er lächelte zuversichtlich. »Ich bereite dir einen Aufguß von Holunderblüten und Geißblatt und rühre etwas Honig hinein, den ich bei mir habe. Bald bist du wieder gesund.«
Während Eadulf die Medizin mischte, berichtete er ihr von seiner Begegnung mit Abt Cild. Fidelma hörte aufmerksam zu und stellte ein paar Fragen, um einige Punkte zu klären.
»Er scheint ganz so zu sein, wie Bruder Willibrod ihn beschrieben hat«, meinte sie am Ende seiner Erzählung.
»Er bringt Schande über den Glauben.«
»Er bringt Schande nur über sich selbst«, antwortete Fidelma. »Ein Mann von so schäbiger Arroganz zieht allein sich selbst Verachtung zu, nicht dem Glauben. Hoffen wir, daß ich morgen früh so weit gesund bin, daß wir abreisen können. Heute abend bleibe ich hier im Zimmer. Es tut mir leid, daß ich am Begräbnis deines Freundes nicht teilnehmen kann, Eadulf.«
Eadulf zuckte die Achseln. Er ersparte es sich, ihr mitzuteilen, daß man sie sowieso nicht in die Kapelle gelassen hätte.
»Du kannst Botulf nicht mehr helfen. Jetzt ist es wichtiger, daß du wieder gesund wirst. Ich habe genug von diesem Aufguß hergestellt, damit du die ganze Nacht davon trinken kannst. Nimm nur kleine Schlucke.
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