Verneig dich vor dem Tod
traurig, wenn wir diese Abtei verlassen, Eadulf. Ich bin nicht nur körperlich unterkühlt, ich war selten an einem Ort, der so eisig auf meine Seele wirkte.«
In diesem Moment wurde an die Tür geklopft, und der einäugige Bruder Willibrod trat ein. Er sah beunruhigt und besorgt aus.
»Abt Cild möchte dich sofort sprechen, Bruder Eadulf. Kommst du mit?«
Eadulf schaute Fidelma entschuldigend an. Sie blickte nicht auf, sondern saß zusammengekauert am Feuer und hielt den Becher in beiden Händen.
Eadulf folgte Bruder Willibrod durch die dunklen gemauerten Gänge der Abtei, bis der
dominus
vor einer schweren Eichentür haltmachte und vorsichtig anklopfte. Von innen kam ein barscher Befehl, Bruder Willibrod öffnete die Tür, trat beiseite und bedeutete Eadulf, er möge hineingehen. Hinter ihm schloß sich leise die Tür, und Bruder Willibrod wartete draußen.
Der Abt saß am anderen Ende eines langen Eichentischs, auf dem zwei verzierte Kerzenhalter standen, deren flakkernde, zischende Talgkerzen ein eigenartiges Licht in dem düsteren Raum verbreiteten. Der Abt wirkte hochgewachsen, wie er da aufrecht in dem geschnitzten Eichensessel saß, die Handflächen auf der Tischplatte, und aus dunklen Augen vor sich hin starrte.
Der Abt hatte ein langes, blasses Gesicht mit scharfen,ausgeprägten Zügen. Die hohe Stirn wurde von langem dunklem Haar umrahmt. Es war ein Gesicht voller energischer Zielstrebigkeit, wie es Eadulf selten bei Geistlichen, häufiger bei Kriegern gesehen hatte. Die Nase war dünn und hatte einen hohen Rücken und seltsam geschwungene Nüstern. In den dunklen Augen spiegelte sich das Licht der flackernden Kerzen und ließ sie rötlich glänzen. Die Wirkung war bedrohlich. Der schmale Mund war fest und grausam.
»Man sagt mir, du seist ein Abgesandter von Theodor, dem neuen Erzbischof von Canterbury, und zugleich erblicher
gerefa
von Seaxmund’s Ham.«
»Ich bin Eadulf von Seaxmund’s Ham.«
»Das gewährt dir keine besonderen Vorrechte, jedenfalls nicht in meiner Abtei. Anscheinend hast du Bruder Willibrod nicht davon in Kenntnis gesetzt, daß du deinen Rang als
gerefa
verloren hast, als du das Mönchsgelübde abgelegt hast.«
»Vielleicht hat Bruder Willibrod zuviel vermutet. Ich habe jedenfalls den Ausdruck ›ich war‹ benutzt«, entgegnete Eadulf lebhaft. »Und welche besonderen Vorrechte meinst du? Das verstehe ich nicht.«
»Eine Frau in diese Abtei mitzubringen. Meinen
dominus
zu überreden, gegen meine wichtigste Regel zu verstoßen. Unser Haus ist Frauen verschlossen.« Der Ton des Abts war scharf.
Eadulf errötete vor Zorn. »Meine Reisegefährtin ist Fidelma von Cashel, die Schwester des Königs von Muman und eine angesehene Anwältin in ihrem Land.«
»Sie ist aber nicht in ihrem Land, und dies ist meine Abtei, in der ich die Regeln bestimme.«
»Wenn du aus dem Fenster schaust, wirst du sehen, daß bei diesem Wetter unmöglich jemand seine Reise noch heute fortsetzen kann«, gab Eadulf zurück.
Der Abt ließ sich nicht beirren.
»Ihr hättet die Reise gar nicht erst antreten sollen, ohne euch zu versichern, ob ihr auch willkommen seid«, erwiderte er ebenso bestimmt.
»Entschuldige. Ich dachte, wer zu einem christlichen Haus kommt, findet auch christliche Nächstenliebe«, antwortete Eadulf spöttisch. »Hier ist mein Land und mein Volk, und der Verwalter dieser Abtei war mein Freund, mit dem ich aufgewachsen bin. Ich hatte nicht erwartet, ein christliches Haus anzutreffen, das eine unbeugsame, mitleidlose und kleinliche Regel aufstellt.«
Der Abt betrachtete ihn mit unveränderter Miene. Er ging nicht auf die Beleidigung ein.
»Du warst längere Zeit im Ausland, habe ich gehört. Du wirst feststellen, daß sich in diesem Land vieles verändert hat. Die Abtei zum Beispiel befolgt nun meine Regel,
mutatis mutandis
.«
»Es ist geändert, was geändert werden mußte?« machte Eadulf aus dem lateinischen Spruch eine Frage. »Also wurde das Mitleid aus diesem Hause verbannt?«
Der Abt überging den Einwurf. »Für heute nacht werde ich Christi Großzügigkeit walten lassen. Aber morgen nach der Frühmesse werdet ihr, diese Frau und du, die Abtei verlassen. Inzwischen darf sie sich nicht aus dem Zimmer entfernen, das man ihr zugewiesen hat. Du, Bruder Eadulf, darfst dem Gottesdienst in unserer Kapelle beiwohnen.«
Eadulf schluckte empört. »Ich muß dagegen protestieren, daß …«
»Der Frau wird nicht erlaubt, länger zu bleiben und gegen meine Regel zu verstoßen.
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