Verneig dich vor dem Tod
er noch einen weiteren Aufguß aus den Kräutern hergestellt hatte, die er immer bei sich führte, ließ Eadulf Fidelma in unruhigem Schlummer zurück und begab sich zu Abt Cilds Zimmer.
Der Abt begrüßte ihn unwirsch. »Du willst dich wohl verabschieden? Die Mühe hättest du dir sparen können.«
Eadulf bezwang seinen Ärger über die schroffe Art des Abts.
»Meine Gefährtin und ich können die Abtei heute vormittag noch nicht verlassen …«, begann er.
Die zornige Miene des Abts ließ ihn innehalten.
»Ihr wagt es, meinen Anordnungen zuwiderzuhandeln?«
Eadulf hob die Hand mit der Fläche nach außen, um die Wut des anderen zu dämpfen.
»Ich muß zu meinem Bedauern sagen, daß meine Gefährtin, Schwester Fidelma, erkrankt ist. Bei diesem Wetter kann sie nicht reisen. Sie muß im Bett bleiben und Medikamente einnehmen, die ich für sie bereitet habe.«
Abt Cild betrachtete ihn mit zusammengekniffenenAugen. »Ich bin nicht für ihre Gesundheit verantwortlich. Ich habe weder dich noch sie in meine Abtei eingeladen.«
Diese Gefühllosigkeit erschütterte Eadulf.
»Es ist deine Christenpflicht, reisenden Mönchen und Nonnen Gastfreundschaft zu gewähren. Was für eine Art von Heiliger bist du, daß du auf diese Weise gegen die Regeln des Glaubens verstößt?«
Eadulfs Ton war kalt im Bemühen, sein eigenes Temperament zu zügeln. »Du verweigerst einer Glaubensschwester die Gastfreundschaft mit der Begründung, dies Haus sei nur für Männer bestimmt, doch du nimmst anscheinend weibliche Gäste auf, die keine Nonnen sind. Beim Kreuz Christi, ich werde dafür sorgen, daß Erzbischof Theodor davon erfährt.«
Abt Cild war etwas blaß geworden, als sich Eadulf brüsk abwandte.
»Warte!«
Der scharfe Befehl zwang Eadulf zur Umkehr.
»Was meinst du damit? Wovon redest du – von welchen weiblichen Gästen, die keine Nonnen sind?«
Eadulf lächelte maliziös. »Gestern abend auf meinem Weg zur Kapelle erblickte ich eine Dame. Ist es ein Geheimnis, daß sie sich hier aufhält?«
In Abts Cilds blassem Gesicht zuckten plötzlich Muskeln. Einen Moment schien es, als sei alle Aggressivität von ihm gewichen. Er setzte sich und starrte Eadulf mit einer beinahe Mitleid erweckenden Miene an.
»Erzähl mir genau, was du gesehen hast«, sagte er leise in bittendem Ton. Eadulf vernahm ein merkwürdiges Stocken in seiner Stimme.
Knapp berichtete er dem Abt, daß er eine junge Frau indem kleinen Hof hinter der Kapelle beobachtet hatte. Auf einmal merkte er, daß der Abt leicht zitterte.
»Blond, sagst du, in einem roten Kleid und mit Juwelen?«
»So habe ich sie beschrieben«, bestätigte Eadulf und fragte sich, was diesen erstaunlichen Wandel in der Haltung des Abts hervorgerufen hatte.
»Du lügst mich nicht an?« Die Frage wäre eine Beleidigung gewesen, doch der Ton des Abts war fast flehend. »Schwörst du, daß du diese Frau tatsächlich gesehen hast?«
Eadulf setzte bereits zu einer heftigen Erwiderung an, doch der Mann tat ihm leid.
»Natürlich«, brummte er. »Ich habe nicht die Angewohnheit, Dinge zu berichten, die ich nicht gesehen habe. Aber genug davon. Ich meine, du kannst nicht behaupten, bestimmte Grundsätze zu vertreten, und gleichzeitig verbergen, daß du selbst dich nicht daran hältst. Ich verspreche dir, daß Erzbischof Theodor von deiner unwürdigen Behandlung Schwester Fidelmas erfahren wird. Wehe dir, wenn ihr durch deine gefühllose Gleichgültigkeit gegenüber ihrer Krankheit etwas zustößt.«
Wieder wandte sich Eadulf zur Tür, und wieder rief ihn Abt Cild zurück. Er wirkte immer noch unruhig und verunsichert, was Eadulf auf seine Drohung zurückführte, den Erzbischof zu informieren.
»Ich schicke den Apotheker der Abtei, damit er diese … diese Schwester Fidelma untersucht. Wenn er bestätigt, was du sagst, darf sie hierbleiben, bis sie wieder reisefähig ist.«
Abt Cild nahm eine kleine bronzene Handglocke und läutete. Fast sofort war Bruder Willibrod zur Stelle.
»Schicke Bruder Higbald zu Schwester Fidelma. Er sollfeststellen, wie es ihr geht, und mir umgehend berichten, wie krank sie ist.«
Bruder Willibrod blickte beunruhigt drein. »Krank, Pater Abt?« Er schaute Eadulf unsicher an. »Sie ist krank?« flüsterte er ängstlich. »Es ist doch nicht – nicht die Gelbe Pest?« Rasch bekreuzigte er sich.
Abt Cild schnaubte unwirsch, weil seine Anordnung nicht augenblicklich befolgt wurde. Allmählich rötete sich sein Gesicht wieder, und sein altes Selbst kehrte
Weitere Kostenlose Bücher