Verneig dich vor dem Tod
Fidelma läßt sehr zu wünschen übrig.«
Bruder Higbald schaute ihn mitfühlend an und nahm seinen Arm.
»Gehen wir ein paar Schritte, Bruder Eadulf.«
Er führte Eadulf den Korridor entlang und hinaus auf einen überdachten Gang an der Seite des Mittelhofes, des Haupthofes, um den sich die Gebäude der Abtei gruppierten. Es hatte aufgehört zu schneien, wie Bruder Higbald gesagt hatte, doch die Luft war kalt, und der Schnee lag hoch. Es war trockener, feiner Schnee, den die Windstöße umherwirbelten.
Bruder Higbald schlug einen vertraulichen Ton an.
»Ich werde natürlich dafür sorgen, daß dem Abt die Situation klar wird. Aber verurteile ihn nicht wegen seiner starren Haltung. Er hat viel durchgemacht. Es ist eben seine Art, sich zu schützen.«
»Ich verstehe, daß es ihm nicht gut geht«, gab Eadulf zu. »Ich war gestern abend in der Kapelle dabei.«
Bruder Higbald verzog das Gesicht. »Ach, du meinst den ziemlich dramatischen Auftritt des irischen Kriegers? Dem liegen anscheinend imponierende Gesten.«
»Du kennst ihn also?«
»Kennen ist vielleicht zuviel gesagt. Ich habe ihn gerade zweimal gesehen.«
»Und wann war das?«
»Das erstemal, als er in die Abtei kam, um mit Abt Cild zu sprechen. Das zweitemal gestern abend. Beide Male verlief sein Erscheinen dramatisch.«
»Dramatisch? Wann kam er denn das erstemal in die Abtei?«
»Du bist neugierig, Bruder Eadulf.« Bruder Higbalds Miene verriet Mißtrauen, aber auch Belustigung.
»Das bin ich von Natur aus«, erklärte Eadulf. »Ich war erblicher
gerefa
in Seaxmund’s Ham, bevor ich für den Glauben auf Reisen ging.«
Bruder Higbalds Lächeln wurde noch breiter.
»Was, ein
gerefa
? Ein juristischer und ein medizinischer Verstand, und beide im Dienste des Glaubens. Eine außerordentliche Verbindung, Bruder. Also dieser Krieger Garb erschien vor neun Tagen in der Abtei. Ich war gerade beim Abt, als er auf eine ähnlich dramatische Weise zur Tür hereinkam. Unter Bewachung eines seiner Krieger wurde ich aus dem Zimmer geleitet. Ich weiß nicht, was zwischen ihm und dem Abt gesprochen wurde. Jedenfalls ging Garb im Zorn weg. Abt Cild war mehrere Tage lang verstört. Von dem Tag an, glaube ich, wechselten seine Launen noch stärker.«
Eadulf betrachtete Bruder Higbald mit einigem Zweifel. »Willst du damit sagen, daß der Abt ein ganz anderer Mensch war, bevor Garb zum erstenmal hier auftauchte?«
Bruder Higbald lachte in sich hinein. »Wenn du meinst, daß er vorher heiter und gutmütig und leichtlebig war, dann muß ich dich enttäuschen, das war er absolut nicht. Solche Gaben wie Güte und Humor hat die Natur unserem Abt nicht verliehen. Seine Stimmung schwankte immer extrem – so wie du es auch jetzt an ihm beobachten kannst.Ich würde sagen, seitdem hat er Angst bekommen. Soviel ich weiß, war er stets mißtrauisch und unberechenbar im Umgang mit Menschen.«
»Garbs Mordanklage ist eine sehr schwere Beschuldigung«, erwiderte Eadulf.
»Zugegeben, aber wie kann hier eine solche Anklage nach einem fremden Gesetz erhoben werden?«
»Nach unserem Recht geht das nicht«, gab Eadulf zu. »Nach dem Gesetz der Brehons ist es möglich, weil Cild in Connacht unter diesem Gesetz geheiratet hat. Folglich ist es, wie ich gehört habe, ein ernster Fall.«
»Das Schicksal hat dem Abt einen grausamen Schlag versetzt.«
»Grausam?« fragte Eadulf überrascht. »In welcher Hinsicht?«
»Mit Bruder Botulfs Tod. Wäre er noch am Leben, könnte er Abt Cild gegen diese Anschuldigungen verteidigen.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Ich weiß nur, daß Bruder Botulf die ganze Geschichte von der Ehefrau des Abts kannte und ihren Tod miterlebte.«
»Wann ist sie gestorben?« Eadulf verbarg seine Enttäuschung darüber, daß seine Theorie, Cild halte seine Frau vor der Welt versteckt, so schnell geplatzt war.
Bruder Higbald schüttelte den Kopf. »Ich sollte nicht über den Abt tratschen.«
»Ich erwarte nicht von dir, daß du tratschst«, erwiderte Eadulf rasch. »Ich wollte nur eine Antwort auf eine Frage. Ein Datum oder eine Zeit.«
»Gélgeis muß schon ein paar Monate vor meinem Eintritt in diese Gemeinschaft gestorben sein. Als ich gegen Endedes Sommers herkam, hatte Cild die Abtei bereits als eine Bruderschaft von Mönchen eingerichtet, in der keine Frau unsere Meditationen stören durfte. Aber es gibt hier noch ein paar Mönche, die sie kannten. Der arme Bruder Botulf natürlich und Bruder Willibrod. Ach ja, der junge Redwald auch. Nach dem, was
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