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Verneig dich vor dem Tod

Verneig dich vor dem Tod

Titel: Verneig dich vor dem Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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man der frühesten christlichen Gemeinschaft zuschrieb. Eadulf hatte es nie gelesen oder bewußt seine Regeln befolgt. Er schüttelte den Kopf.
    »Die
Didache
sagt«, zitierte der
dominus
mit sonorer Stimme: »›Teile alles mit deinem Bruder. Sage nie: Das ist persönliches Eigentum. Wenn du am Unvergänglichen teilhast, solltest du um so eher bereit sein, vergängliche Dinge zu teilen.‹«
    »Ich habe diese Lehre schon von anderen Kirchenvätern gehört«, gestand Eadulf. »Soll das die Regel sein, die ihr hier befolgt?«
    »Wir geben uns Mühe, uns an die wahren Regeln des Glaubens zu halten«, erwiderte Bruder Willibrod steif.
    »Dennoch würde ich gern einen Blick in die Zelle meines guten Freundes werfen.«
    »Ich weiß nicht, ob sie schon freigegeben ist.«
    »Darf ich darum bitten?«
    Bruder Willibrod zuckte plötzlich die Achseln, als sei es ihm gleich. »Na gut. Ein Moment der Besinnung ist zulässig. Komm mit.« Er drehte sich um und ging voran durch die Abtei, an dem Schlafsaal und dem Speisesaal vorbei. »Als Verwalter der Abtei hatte Bruder Botulf sein Zimmer hier«, erklärte er, wies auf eine Tür und trat beiseite.
    Bruder Eadulf betrat den kleinen Raum.
    Drinnen befand sich kaum etwas. Eine Kutte und ein Mantel hingen noch an den Holzpflöcken an der Wand, ebenso eine Buchtasche. Darunter sah Eadulf ein Paar abgetragener Sandalen auf dem Boden. Das Bett bestand aus einer einzigen Strohmatratze auf einem Holzgestell, und darauf lagen mehrere sauber gefaltete Decken. Auf dem kleinen Tisch waren eine Kerze und eine Zunderbüchse. Dann gab es noch einen Becher, einen Krug und einen Waschzuber.
    »Wie du siehst, Bruder Eadulf«, bemerkte der
dominus
von der Tür her, »Bruder Botulf besaß so gut wie nichts.«
    Eadulf nickte. »Ich finde das traurig. Ein Leben ist vorüber, und nichts ist geblieben als die Erinnerungen der paar Menschen, die ihn kannten. Die Erinnerungen verlöschen bald, und alles ist verflogen wie Rauch im Wind.«
    »Besitztümer sind ein Ärgernis, sie führen die Menschen in Versuchung«, erwiderte Bruder Willibrod steinern. »Hat nicht der heilige Basil der Große erklärt, daß Eigentum Diebstahl sei? Wir Glaubensmänner müssen alle persönlichen Sachen abschaffen. Im Glauben sind wir alle gleich.«
    Eadulf seufzte resigniert. »Ich meine, es war Aristoteles, der sagte, es seien nicht die Besitztümer, sondern die Wünsche der Menschen, die gleichgemacht werden müßten.«
    Er wandte sich der Tasche zu, die an der Wand hing. Darin befand sich ein kleines Buch mit Bibelzitaten in lateinischer Sprache. Als Eadulf es herausnahm, erblickte er ein zusammengeknülltes Stück Papier am Boden der Tasche. Er zog es so heimlich hervor, daß Bruder Willibrod nicht bemerkte, wie er es im Ärmel seiner Kutte verschwinden ließ.
    »Ich muß dieses Buch ins
scriptorium
zurückbringen«, sagte Bruder Willibrod und streckte die Hand danach aus.
    »War es nicht Botulfs Buch?« fragte Eadulf.
    »Hier ist alles gemeinsames Eigentum«, erwiderte Bruder Willibrod.
    Eadulf sah zu, wie der
dominus
das Buch wieder in die Tasche steckte und diese vom Pflock nahm. Eadulf benutzte die Gelegenheit, das Stück Papier in den kleinen
sacculus
zu tun, den er am Gürtel trug. Bruder Willibrod wandte sich wieder zu ihm um.
    »Hast du genug gesehen?«
    Eadulf neigte zustimmend den Kopf. Als sie über den Haupthof zurückgingen, fragte er: »Sag mir, Bruder Willibrod, als
dominus
der Abtei kennst du doch jeden, der hier kommt und geht, nicht wahr?«
    Bruder Willibrod sah ihn neugierig an. »Wie meinst du das?«
    »Ich meine, du kennst hier doch auch alle Besucher?«
    »Wenn du mich wegen der Eindringlinge von gestern abend fragst, so habe ich dir doch schon erklärt, daß die fremden Krieger über die Mauern geklettert sind und …«
    »Danach frage ich nicht. Ich möchte wissen, wer die Frau ist, die gestern abend in der Abtei war. Und damit meine ich nicht meine Gefährtin.«
    Bruder Willibrod blickte ihn mit empörter Miene an.
    »Bist du verrückt? Eine Frau hier in der Abtei? Unmöglich!«
    »Nicht unmöglich. Ich sah sie in dem Hof neben der Kapelle. Eine schlanke Frau, blond, in einem roten Kleid und mit Juwelen geschmückt.«
    Bruder Willibrod trat einen großen Schritt zurück. Verblüffung huschte über sein Gesicht. Dann erstarrte es zu einer Maske.
    »Es gab keine solche Frau in der Abtei, weder gestern abend noch sonst irgendwann.« Er drehte sich um und ging so schnell weg, daß Eadulf ihm nur

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