Verneig dich vor dem Tod
fragend den Kopf schief.
»Wieder scheinst du mehr anzudeuten, Mul, als deine Worte aussagen.«
Der Bauer nickte langsam.
»Redet mit den Leuten auf jedem Markt, und ihr werdet hören, was die zu sagen haben.«
»Wir sind auf keinem Markt, deshalb würde ich gern wissen, was
du
zu sagen hast. Was hast du gehört?«
»Ich habe gehört, daß Aldhere gern einen neuen König in diesem Land sehen würde. Und ich habe gehört, daß sein Bruder Cild ebenfalls gern einen neuen König in diesem Land sehen würde. Es heißt aber, daß die Brüder dabei an unterschiedliche Könige denken.«
»Kannst du das näher erklären?« drängte ihn Fidelma.
»Dieses Land wird von zwei Seiten mit begehrlichen Blicken betrachtet, im Westen von Wulfhere von Mercia und im Süden von Sigehere von den Ost-Sachsen. Jeder von beiden wäre töricht, wenn er sich nicht den Streit zunutze machte, der in dieser kleinen Ecke des Königreichs tobt.«
»Willst du damit sagen, daß du mit Bestimmtheit weißt, Cild oder Aldhere wäre mit Wulfhere oder Sigehere verbündet?« Eadulf war entsetzt.
»Mit Bestimmtheit? Natürlich nicht. Ich berichte euch, was ich auf den Märkten gehört habe.«
»Müßiges Geschwätz. Spekulationen ohne Tatsachen!« vermutete Eadulf. Fidelma merkte ihm aber an, daß er dabei unsicherer wurde und seinen Gedanken nachhing.
»Wenn das Land des Südvolks fiele, würde das Land des Nordvolks sehr bald folgen«, entgegnete Mul unbeeindruckt.
»Da könntest du recht haben«, gestand Fidelma. »Anscheinend gibt es nirgendwo auf der Welt Frieden zwischen den Völkern. Zwischen den fünf Königreichen meiner eigenen Insel werden Intrigen gesponnen und Verschwörungen angezettelt. Bei unserem Besuch bei den Briten stellten wir fest, daß ihre Königreiche uneins waren und sich bekämpften. Warum sollte es da im Lande der Angeln und Sachsen anders sein? Doch deswegen sind wir nicht hier.«
Mul schnaufte und langte nach dem Weinkrug. Als er ihn leer fand, stand er auf, ging zum Schrank und holte einen neuen.
»Nein«, sagte er, »ihr seid hier, um herauszufinden, wie Cild deinen Freund Botulf umbrachte.«
»Wir sind hier, um zuerst einmal herauszufinden,
ob
CildBotulf ermordet hat«, verbesserte ihn Eadulf. »Wenn er es tat, wird sich das ›wie‹ schon herausstellen.«
»Und außerdem, ob er seine Ehefrau Gélgeis getötet hat«, ergänzte Fidelma. »Wir sind hier, um eine noch größere Tragödie zu verhüten und ein solches Blutvergießen, wie es dieses Land noch nie gesehen hat.«
KAPITEL 14
Während der Nacht war der Schneesturm weitergezogen. Der Morgen war zwar noch eisig kalt, doch klar mit einem pastellblauen Himmel und einer schwachen, fast weißen Sonne. Fidelma und Eadulf hatten die Nacht in der behaglichen Wärme von Muls Bauernhaus verbracht. Sie hatten mit Mul zusammen gefrühstückt, doch dann gewartet, bis er außer Hörweite war, ehe sie ihre Gebete an den heiligen Stephanus richteten, denn es war sein Festtag – der Festtag des ersten Märtyrers des neuen Glaubens. Nachdem sie Mul die versprochene Münze für die Übernachtung gegeben hatten, waren sie zu ihrer weiteren Reise nach Norden aufgebrochen. Die Wege lagen voller Schneewehen, deren körnige Flocken vom Sturm an Hecken und Gräben aufgetürmt worden waren. Die Reise würde beschwerlich werden.
Doch Fidelma hatte gut geschlafen und fühlte sich viel kräftiger als zuvor. Das Fieber, unter dem sie erneut gelitten hatte, war im Abklingen, und sie empfand deutliche Erleichterung.
Muls rauchender Schornstein war kaum hinter einem Hügel außer Sicht gekommen, als Eadulf sich zu Fidelmaumdrehte. Er hatte mehrere Fragen, die er in dem engen Bauernhaus, in dem Mul jedes geflüsterte Wort hören würde, nicht hatte stellen können.
»Was meintest du mit ›ein solches Blutvergießen verhüten, wie es dieses Land noch nie gesehen hat‹?« wollte er wissen.
Fidelmas Miene war ernst.
»Warum gebe ich mir solche Mühe, zu verhindern, daß dieses rituelle Fasten stattfindet, Eadulf?«
»Um den Tod Gadras zu vermeiden … und die Wahrheit über das Sterben von Gélgeis und Botulf herauszubekommen …« Eadulf dachte, die Gründe wären doch wohl offenkundig.
»Eins hast du anscheinend übersehen oder vielleicht auch nicht verstanden über das
troscud
oder das rituelle Fasten. Gadra ist Fürst von Maigh Eo. Er stammt von den Königen der Uí Briúin von Connacht ab, und die wiederum sind mit den Großkönigen der Uí Néill verwandt. Wenn Gadra
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