Verplant verliebt
Sie schreckte hoch, als es im Flur raschelte und jemand leise an ihre Tür klopfte. Marie knipste die Nachttischlampe an. Vor dem Türschlitz lag ein Brief. Sie tapste zur Tür und hob ihn auf. Dann setzte sie sich auf die Bettkante und öffnete vorsichtig den Umschlag.
Liebe Marie,
du denkst, ich habe dich getäuscht. Es wäre tatsächlich ehrlicher gewesen, dir gleich zu sagen, dass ich Ole bin. Aber als ich entdeckt habe, dass du hinter Witchcraft steckst – natürlich du, meine rothaarige Hexe –, war ich noch nicht so weit, dir die Wahrheit über mich zu erzählen. Ich wollte erst mit meiner Vergangenheit im Reinen sein. Dafür musste ich diesen letzten Schritt noch gehen und mich mit meinen Eltern aussöhnen. Ich wollte, dass du dich in mich verliebst, so wie ich heute bin, und dich nicht von dem Päckchen, das ich mit mir trage, abschrecken lässt. Wir sind beide gebrannte Kinder, jeder auf seine Art. Ich habe mit dem Unglück, das Tiziana und mir passiert ist, nun Frieden geschlossen und würde gerne der Zukunft eine Chance geben. Einer Zukunft mit dir. Und es spricht verdammt viel dafür!
Hier meine ganz persönliche Liste für dich, Marie:
Wenn wir es ganz analytisch betrachten, dann haben uns psychologische Tests bescheinigt, dass wir zusammenpassen. Matchmaker hat uns beiden 98 von 100 Punkten gegeben. Ich bin sicher, dass ein Haufen renommierter Psychologen damit betraut wurde, diese Tests zu entwickeln. Die können also nicht lügen.
Wenn wir es weniger nüchtern betrachten, dann hat uns das Schicksal gleich zwei Mal zusammengeführt. Auf der Party hast du mich sirenengleich eingefangen und – seien wir ehrlich – danach nicht wieder losgelassen. In den Mails von Witchcraft habe ich eine Marie kennengelernt, die sich mir in der Realität so schnell nicht gezeigt hätte, verletzlich und weise gleichermaßen. Als diese zwei Welten plötzlich aufeinanderprallten, war ich erst verwirrt, dann aber umso mehr überzeugt, dass wir zusammengehören.
Du hast so viele Facetten und jede einzelne davon liebe ich: die sinnliche Arielle, die mich mit ihren Blicken verführt hat, die fähige Kollegin, mit der ich das Edelpartner-Projekt gestemmt habe, der Familienmensch, der so viel Liebe gibt, die vorsichtige Marie, die vor mir zurückschreckt, weil sie Angst hat, verletzt zu werden. Alle diese Seiten von dir habe ich in mein Herz geschlossen.
Du bist eine wunderschöne Frau. Morgens neben dir aufwachen, deine leuchtend roten Locken auf dem Kissen, deine milchweiße Haut mit den Sommersprossen, deine grünen Augen, die mich anlächeln – ich werde nie genug davon bekommen.
Du bist der Auslöser dafür, dass ich meinen Eltern wieder nähergekommen bin. Als Witchcraft hast du mich aufgefordert, meine Prioritäten richtig zu setzen. Dann hat mir die Herzlichkeit deiner Familie gezeigt, wie wertvoll familiäre Bande sind. Ich wünsche mir nicht nur, ein Teil von dir zu sein, sondern auch von deiner Familie.
Ich bin mit dem Auto nach Weinsberg gefahren. Kannst du das glauben? Meine Angst war mir plötzlich egal, für mich zählte nur noch, schnell bei dir zu sein.
Es gab eine Zeit in meinem Leben, in der ich die Welt um mich herum wie durch einen Nebel wahrgenommen habe. Ich habe nur geatmet, gegessen, gearbeitet, viel gearbeitet. Es ist besser geworden mit der Zeit. Die Lebensfreude kehrte irgendwann zurück, aber ich dachte, das Kapitel „Liebe“ sei für mich zu Ende geschrieben. Dann kamst du. Ich hätte nie gedacht, dass ich noch einmal so viel für eine Frau empfinden könnte, und ich bin so unglaublich dankbar dafür, dass du in mein Leben getreten bist. Umso mehr hoffe ich, dass du uns eine Chance gibst.
Bitte vertrau mir.
Karlo
Marie las den Brief noch einmal durch und drückte ihn an ihre Brust. Eine Träne fiel auf ihre Pyjamahose. Sie hatte gar nicht gemerkt, dass sie weinte. Karlo hatte alle ihre Ängste beim Namen genannt und sie mit wenigen Worten beiseite geschoben. Er kannte sie und er liebte sie so, wie sie war. Er hatte ihr eine Liste geschrieben! Eine Liebesliste. Marie stand auf, zog ihren Pulli über und ging zur Tür.
Sie trat leise in den Gang. Dort sah sie Karlo, der vor dem Treppenabsatz auf- und abging, den Kopf gesenkt und die Hände in den Hosentaschen vergraben. Als er sie bemerkte, blieb er ruckartig stehen. Marie sagte nichts, sah ihn nur an. Er probierte ein zaghaftes Lächeln und als sie es mit einem breiten Grinsen
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