Verräter der Magie
brauchte Platz zum Atmen, wollte in Ruhe nachdenken. Es war schon einige Zeit her, seit sie das letzte Mal an den entsetzlichen Nachmittag im Wald zurückgedacht hatte. Und nun steckte die Erinnerung wie ein dicker Eisenklumpen in ihrer Brust.
Als sie sicher sein konnte, dass die tanzenden Körper Sinas Blick auf sie versperrten, lehnte sie sich gegen die hintere Bühnenwand. Ein Seufzer kam ihr über die Lippen, während sie einfach so dastand und sich zu beruhigen versuchte.
Gestalten in schillernden Kostümen wirbelten um sie herum. Falsches Gelächter drang in ihre Ohren. Sie fühlte sich müde. So furchtbar müde. Nach kaum einem Tag hier unten hatte sie Sina und ihren Hof schon satt. Wenn das die Welt der Sidhe war, dann wollte sie nicht dazugehören.
Kira, es tut mir leid, was dir widerfahren ist. Aber du musst verstehen … Wahrscheinlich wollten sie deine Mutter gar nicht töten, sondern sie einfach nur gefügig machen. Wie hätten sie denn …?
»Sei still!«, fuhr sie Kingsley an, ungeachtet der Leute in ihrer Nähe. »Das Letzte, was ich im Moment hören will, ist deine Stimme. Halt einfach die Klappe. Bitte!«
Der Gedanke an Titania hatte alte, schlecht verheilte Wunden aufgerissen und ließ sie innerlich bluten. Ein leises Wimmern drang aus ihrer Kehle, doch sie weinte nicht, obwohl ihre Augen von ungeweinten Tränen brannten.
Nachdem Pooka sie damals endlich losgelassen hatte, war sie zu ihrer Holzhütte zurückgerannt. Noch immer konnte sie die verzweifelten Rufe ihres kindlichen Ichs nach seiner Mutter hören, auf die niemand mehr geantwortet hatte.
Das war das Ende ihrer unbeschwerten Kindheit gewesen. Die Zeit danach wurde sehr hart. Auf einmal schienen die Magier überall zu sein.
Ohne Pooka hätte sie wahrscheinlich keine vierundzwanzig Stunden überlebt, aber mit seiner Hilfe und seinen geflüsterten Ratschlägen schaffte sie es, sich ein ganzes Jahr zu verstecken.
Doch schließlich erwischte man sie. Verzweifelt vor Hunger hatte sie einen Lebensmittelladen überfallen. Pooka hatte sich in ein Gewehr verwandelt, aber als der Lauf Hummeln statt Patronenhülsen spuckte, wurde ihr Zauber durchschaut. Eine Stange aus Eisen schlug sie bewusstlos. Wenig später fand sie sich in einem Krankenhaus wieder, mit einem Eisenband um ihr Handgelenk.
Jetzt wanderten ihre Finger automatisch zu der Stelle, an der das kalte Metall genagt hatte. Sie meinte immer noch, es zu spüren. Vorsichtig massierte sie das Gelenk, während sie vor ihrem inneren Auge noch einmal die letzten Momente ihrer Kindheit durchlitt. Damals hatte sie wenig von dem verstanden, was da draußen vor sich ging. Sie hatte nicht einmal gewusst, dass sie selbst wie eines der Monster war, vor denen Kinder sich im Dunkeln fürchteten.
Kira atmete noch ein paarmal tief durch. Als sie spürte, wie ihr Herzschlag ruhiger wurde, stieß sie sich von der Wand ab und ging zurück durch die tanzende Masse. Ein stinksaurer Werwolf stellte sich ihr in den Weg. Eine seiner riesigen Hände schloss sich grob um ihren Oberarm und zog sie zu sich heran.
»Hatte ich dir nicht gesagt, dass Sina deinen Kopf will?«, knurrte er in ihr Ohr. »Und was tust du? Du provozierst und demütigst sie vor ihrem ganzen Hof! Bist du denn des Wahnsinns?!«
Kira war so überrascht von diesem Ausbruch, dass sie zurückwich. Doch dann stiegen Zorn und Trotz in ihr auf und gaben ihr den Mut, Ares entgegenzutreten.
» Ich habe sie provoziert?«, bellte sie zurück. » Sie war es, die mit dem Tod meiner Mutter anfangen musste, als wäre es amüsanter Klatsch!«
»Sie hat angefangen, sagst du? Ist das alles, was dir dazu einfällt? Das ist doch kindisch!« Ares schnaubte. »Ehrlich, Kira. Ich hätte dich für schlauer gehalten.«
Schamesröte kroch Kira ins Gesicht, ließ ihre Wangen brennen. Und dennoch gab sie sich nicht so leicht geschlagen.
»Du hast doch nur Angst, sie könnte mich umbringen, ehe du mich zu deinem großen Meisterplan überredet hast«, entgegnete sie spöttisch.
Ares trat noch näher an sie heran, sodass sie nur noch Millimeter voneinander trennten. Viel zu wenige, für Kiras Geschmack. Es raubte ihr die Luft zum Atmen.
Sie wollte zurückweichen, doch noch ehe sie den ersten Schritt getan hatte, schlossen sich seine Arme wie ein Käfig um sie und hielten sie gefangen. Sie wand sich in seinem Griff. Jedoch ohne Erfolg. Er ließ eine Hand zu ihrer Hüfte gleiten, doch erst als er mit der rechten nach ihrer linken Hand griff, begann sie sich
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