Verräterische Gefühle
Sie riss sich zusammen. „Er nennt mich tatsächlich Freitag! Als wäre er Robinson, London eine einsame Insel und ich sein Leibsklave.“ Immer noch kämpfte sie mit dem Reißverschluss. „So, jetzt tief einatmen … okay, das wär’s. Nun muss ich aber los und mich um John of Gaunt kümmern.“
Rasch floh sie in die Kleiderkammer des Theaters, wohin sich zufällig auch gerade ihre Kollegin und enge Freundin Claire zurückgezogen hatte. Sie schmökerte in einem Hochglanzmagazin und sah schuldbewusst auf, als Katie den Raum betrat.
„Alles nur zu Recherchezwecken“, behauptete sie lachend, wurde aber gleich wieder ernst, als sie den Gesichtsausdruck ihrer Freundin sah. „Du kommst wohl gerade von der grässlichen Duchess of Gloucester! Passt sie überhaupt noch in ihr Kostüm?“
„Mal gerade so!“ Seufzend ließ Katie sich auf einen Stuhl fallen. „Hast du eine Kopfschmerztablette für mich?“
„ Sorry, gerade selbst geschluckt. Apropos Kopfschmerzen …“ Claire schlug ein paar Seiten in ihrer Zeitschrift um und hielt sie Katie hin. „Ich weiß nicht, ob du es überhaupt sehen willst, aber hier drin steht ein großer Artikel über deine Schwester. ‚Ist Paula Preston die schönste Frau der Welt?‘ Tja, ich würde sagen, auf jeden Fall die größte Airbrush-Ikone! Wie kommt es eigentlich, dass du Field heißt und sie Preston?“
„Paula will auf keinen Fall, dass man eine Verbindung zwischen uns herstellen kann. Es gefällt ihr, so zu tun, als existiere ihre Familie gar nicht.“ Katie betrachtete das Bild ihrer glamourösen Schwester und dachte daran, wie sehr ihre Mutter ums bloße Überleben kämpfen musste. Am liebsten hätte sie zum Telefon gegriffen, um Paula den Kopf zu waschen. Doch da sie aus Erfahrung wusste, wie wenig das brachte, ließ sie es lieber gleich.
„Von der Spielsucht unseres Vaters zu erfahren, hat sie ebenso schockiert wie mich. Doch Paula war in erster Linie wütend auf Mum, weil sie ihm immer wieder verziehen hat. Sie gibt ihr die Schuld daran, dass während unserer Kindheit nie Geld da war und jetzt wohl auch noch das Haus verloren geht. Paula sieht nicht ein, dass sie für Mums Schwäche bezahlen soll.“
„Netter Zug!“
„Manchmal kann ich gar nicht glauben, dass wir blutsverwandt sind.“ Gedankenverloren musterte Katie das perfekte Antlitz ihrer Schwester. „Ihr war schon immer alles zu wenig luxuriös, und die Sache mit Dad gab Paula den Rest. Darum bastelte sie sich ein glanzvolles Image zurecht, an dem niemand kratzen darf.“
Claire schnappte sich die Illustrierte, riss die Seiten mit dem kränkenden Artikel heraus, knüllte sie zusammen und warf sie in den Papierkorb. „So! Jetzt ist sie da, wo sie hingehört“, erklärte sie zufrieden. „Und ich sehe mir Bad Boy Wolfe auf der Bühne an. So etwas erlebt man schließlich nicht alle Tage! Kommst du mit?“
„Nein, ich muss noch einmal meine Bewerbungsunterlagen durchgehen.“
Ihre Freundin lachte. „Nette Ausrede, aber wie willst du es bis nach Hollywood schaffen, wenn du dich von den Stars dermaßen einschüchtern lässt?“
„Ich bin nicht eingeschüchtert.“
„Und ob! Du müsstest dich selbst mal sehen. Als du seine Beinlänge gemessen hast, warst du so rot wie eine Tomate.“
„Okay, vielleicht was Nathaniel Wolfe betrifft“, gab Katie widerstrebend zu und errötete schon wieder. „Aber er ist die absolute Ausnahme.“
„Heiß ist der Knabe, das muss man ihm lassen“, gab Claire zu.
„Ja, aber er ist nicht echt. Bei einem Schauspieler weiß man doch nie, ob er aufrichtig ist oder eine Rolle spielt. Ich meine, wenn Nathaniel Wolfe jemals zu dir sagen würde ‚Ich liebe dich‘ … könntest du ihm das ernsthaft abnehmen?“
„Kaum! Ich habe nämlich zufällig gehört, wie er den Intendanten darüber belehrte, dass LIEBE nichts weiter als ein Wort mit fünf Buchstaben sei. Und dass er fünfbuchstabige Wörter grundsätzlich nicht benutze! Weißt du eigentlich, dass sämtliche Karten für die Premiere innerhalb von nur zehn Minuten ausverkauft waren? Zehn Minuten! Unglaublich, oder? Besonders, wenn man bedenkt, dass Shakespeare für viele Leute reines Kauderwelsch ist! Macbeth, der mit einem Totenschädel spricht …“
„Hamlet“, unterbrach Katie sie trocken.
„Wie auch immer, englische Literatur war noch nie meine Stärke. Ich dachte immer Chaucer wäre das Ding unter einer Teetasse.“
„Du meinst Saucer, die Untertasse, im Gegensatz zu Geoffrey Chaucer, dem Verfasser
Weitere Kostenlose Bücher