Verrat im Höllental
Agathes Küche, um sich dort niederzulassen. „Dann
berichte ich dir die Sensation des Tages. Es ist unglaublich. Die Welt wird von
Tag zu Tag schlechter, von Nacht zu Nacht auch. Hast du Kalbsbries gekocht?“
„Aber schon gestern“, sagte Agathe, „ich
esse es kalt. Schmeckt auch. Hoffentlich reicht es für uns beide.“
„Du ißt ja nicht viel“, meinte Emma.
Agathe Tepler war in ihrer Jugend
sicherlich eine zarte Schönheit gewesen, jetzt ein zerbrechliches Weiblein mit
welkender Haut. Sie trug viel Schmuck. Würde war ihr angeboren und verlor sich
selbst dann nicht, wenn sie bei winterlichem Glatteis hart auf den Hintern
fiel.
Folgsam teilte sie ihr Abendessen mit
Emma. Dazu gab es einen Schluck Sherry. Emma aß und redete gleichzeitig.
Erstaunen überzog Agathes Gesicht.
„Soweit der Vorgang.“ Emma bediente
sich aus der Sherry-Flasche. „Und jetzt sage ich dir, welcher Plan
dahintersteckt!“
„Plan?“ Agathes papierdünne Lider
flatterten.
„Als ich meinen Schlüsselbund anfaßte“,
erklärte Emma, „fühlte ich den Fettbelag. Wie die Wachsschicht auf der Haut
gewisser Apfelsorten. Aber meine Schlüssel kommen mit Wachs nicht in Berührung.
Du verstehst, was ich meine?“
„Nein!“
„Mein Gott!“ Emma verdrehte die Augen. „Du
siehst dir doch jeden Krimi im Fernsehen an. Weißt du nicht, daß man einen
Schlüssel nur in ein Stück Wachs drücken muß, um einen Abdruck zu erhalten.
Davon macht man ein Duplikat (Doppel; gemeint: Zweitschlüssel), und der
Einbruch kann stattfinden. Natürlich war ich noch rasch bei der Polizei.
Aber das sind vielleicht Helfer! Die
haben mich angeguckt, als wäre ich übergeschnappt. An den Schlüsseln konnten
sie nichts feststellen. Der eine Beamte meinte, sowas käme vom Handschweiß. Wo
niemand trocknere Hände hat als ich! Von meinem Verdacht habe ich nichts
gesagt. Du bringst das schon in Ordnung. Einem jungen Menschen muß man eine
Chance geben. Auch wenn’s soweit mit ihm gekommen ist.“
„Ich verstehe kein Wort!“ Agathe war
noch hungrig, ließ aber den Eisschrank zu. „Was soll ich in Ordnung bringen?“
„Na, was wohl! Von deiner Großnichte
Nicole spreche ich. Nicht mal du weißt genau, wovon sie und ihre Mutter Magda
leben. Und ich in meiner Gutmütigkeit lade Nicole ein. Du weißt doch, wie sie
meine Kostbarkeiten bestaunt hat. Sogar geschätzt hat sie, was das alles bei
einem Kunsthändler einbringen würde und...“
„Willst du behaupten“, stieß Agathe
Tepler mit schriller Stimme hervor, „Nicole hätte dich in der Damentoilette
bestohlen, um bei dir einzubrechen..?“
„Nun reg dich nicht auf. War ja sehr
geschickt von ihr, die Puderdose rauszunehmen, andererseits das Geld drin zu
lassen — damit ich verwirrt bin und nicht auf das Wachs an den Schlüsseln achte
und...“
„Ich reg mich aber auf!“ rief Agathe. „Das
ist eine ungeheuerliche Verleumdung. In meiner Familie gibt’s sowas nicht. Du
kannst nicht so töricht sein, daß du...“
„Es ist nun mal Tatsache.“ Emma trank
ihren Sherry.
„Ach? Und hast du nicht einen Neffen“,
trumpfte Agathe auf, „der ständig in Geldnöten steckt.“
„Laß Heinz aus dem Spiel. Er ist zur
Zeit in Tokio, außerdem kein Verbrecher. Und er wäre wohl aufgefallen auf der
Damentoilette, nicht wahr?“
„Er wohl. Aber nicht eine seiner
zahllosen Freundinnen. Oder hast du Nicole vielleicht gesehen — auf der
Damentoilette?“
„Nicht direkt. Doch bei diesen
leichtfertigen Mädchen weiß man ja, wie das geht. Eine Perücke! Ein anderes
Make up, und schon... Richtig! Da war eine. Und dann war sie plötzlich verschwunden.
Wenn ich jetzt darüber nachdenke — das könnte sie gewesen sein.“
Agathe Tepler stand auf. Ihre Finger
glätteten die Falten des Plissee (Preßfalten) -Rockes. Mit erhobener
Stimme verkündete sie: „Ich lehne es ab, mich auf diesem Niveau (Stufe) auseinanderzusetzen.
Nicole ist über jeden Verdacht erhaben. Entweder, du entschuldigst dich. Oder
ich will dich hier nicht mehr sehen.“
„Du wirst schon merken, wer recht
behält.“
Emma gestattete sich ein
geringschätziges Lächeln und schritt aus der Wohnung.
Eine Treppe tiefer schloß sie ihre
eigene auf, legte die Tasche ab und trat in den Wohnraum. Kostbarkeiten füllten
ihn, und die Hausbar war mit zahlreichen Likören bestückt.
Und ich wette, sie war’s, dachte Emma.
Aber Haussuchung wäre zwecklos. Die Puderdose ist schon woanders, nämlich bei
dieser Nicole. Wer verschafft mir
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