Verrat im Höllental
viele zu. Trinken
wir trotzdem einen Tee zusammen? Ich habe dich lange nicht gesehen. Bist
gewachsen und noch hübscher geworden. Du schwimmst doch noch?“
„Wie eine Forelle“, lachte Gaby. „Also
gut! Drüben beim Café habe ich mein Rad geparkt. Aber lange kann ich nicht
bleiben.“
Sie überquerten die Straße. Daß Emma
die Grünphase der Fußgängerampel benutzte, war sicherlich Zufall. Im Café
fanden sie einen Fenstertisch, und Emma bestellte für beide.
Sie werde doch zur Polizei gehen,
meinte sie dann, und Anzeige erstatten. Denn Ordnung müsse sein. Dann ließ sie
das Thema fallen, als wäre die Puderdose aus Blech statt aus purem Gold — und
erkundigte sich nach Gabys Freunden.
Das war ein abendfüllendes Thema, und
während der nächsten zehn Minuten redete nur Gaby.
Emma stellte abschließend fest: „Karl
wird also immer schlauer, Klößchen immer dicker und Tarzan bricht alle
sportlichen Rekorde. Ist er nun wirklich dein richtiger Freund — oder noch so
genierlich (schüchtern) wie früher?“
Gaby errötete etwas. „Mein Freund war
er schon immer, Frau Gisen-Häpplich, und zurückhaltend nur, weil ich ihm soviel
bedeute. Er ist durch und durch ritterlich. Aber jetzt, hm, sind wir echt,
total echt befreundet. So richtig, wie es sein muß.“
„Ich hoffe, ich erlebe eure Hochzeit
noch. Wehe, du lädst mich nicht ein. Vor allem will ich ihn endlich
kennenlernen, deinen Freund. Dabei“, sie kniff ein Auge zu, „habe ich was mit
euch vor. Daß ihr die tüchtigsten Spürnasen und Helfer seid, habe ich
begriffen. Also brauche ich euch. Morgen ist Samstag. Da habt ihr Zeit. Ich
lade euch ein. Abgemacht?“
„Wenn meine Freunde Zeit haben, kommen
wir. Worum geht es?“
„Ihr sollt mir helfen, meine Puderdose
zu beschaffen. Gegen Belohnung, versteht sich. Ich habe da einen bestimmten
Verdacht.“
„Einen Verdacht?“ Gaby nippte an ihrem
Tee.
„Aber es wird schwer sein, ihr den
Diebstahl nachzuweisen“, nickte Emma. „Ich denke nämlich an meine... eh...
Freundin. Wir wohnen im selben Haus. Bin gespannt, ob du morgen in Agathe
Tepler die Frau erkennst, mit der du zusammengeprallt bist. Doch selbst wenn...“
„Tepler?“ rief Gaby. „Sie heißt Tepler?“
Emma bestätigte.
„Ich habe nämlich heute eine Nicole
Tepler kennengelernt“, erklärte Gaby, „eine Kunstmalerin.“
„Das ist die Tochter ihrer Nichte. Eine...
hm, naja, ich würde sagen: zweifelhafte Person. Agathe ist, Gott sei Dank!
anders, aber zu naiv, um zu durchschauen, daß sich ihre Verwandtschaft auf
abschüssiger Bahn befindet. Mit Agathe hatte ich jetzt Streit. Offener
Auseinandersetzung weicht sie aus. Weil ihre Nerven — Gott, ach Gott! — so
anfällig sind. Aber daß sie mir hinten herum eins auswischt, traue ich ihr zu.
Na, wir werden sehen. Erstmal nehme ich sie mir vor. Morgen kommt ihr. Falls du
Agathe erkennst, laß dir nichts anmerken. Ich kann mir nämlich denken, wo die
Puderdose geblieben ist. Trinkst du noch einen Tee?“
Gaby lehnte ab, mußte nämlich heim, wo
ihre Mutter schon wartete — von Oskar, dem Vierbeiner, gar nicht zu reden. Für Hundekuchen
war er zu jedem Kunststück bereit. Irgendwann würde er sogar den einarmigen
Handstand meistern.
8. Der Streit der alten Damen
Für Stadtfahrten bevorzugte Emma ihren
englischen Sportwagen. Er war hart gefedert. Auf schlechten Straßen tat man gut
daran, nicht versehentlich die Zunge zwischen die Zähne zu schieben. Gleichwohl
preschte Emma durch den anbrechenden Abend zum Hornissen-Weg. Sie nahm sechs
Kreuzungen, während das Ampelgelb schon zum Rot umsprang, verursachte — in
einem Vorort — eine Vollbremsung wegen einer streunenden Katze und landete
schließlich mit quietschenden Reifen in ihrer Garage. Fünf Zentimeter vor der
Rückwand kam der Roadster (offener Sportzweisitzer) zum Halt.
Emma schlenkerte ihre Tasche und ging
durch den Garten.
Das Zwei-Familienhaus war prächtig. Im
Obergeschoß brannte Licht. Dort verbrachte Agathe Tepler ihren Lebensabend.
Seit Emma hier eingezogen war und sich
die beiden angefreundet hatten, entdeckte Agathe eine bemerkenswerte Reiselust
an sich — die eigentlich nicht ihrer zarten Gesundheit entsprach und auch nicht
der Geduld entfernt wohnender Verwandtschaft. Aber zu einem Umzug, der etwas
Raum zwischen sie und Emma gebracht hätte, konnte Agathe sich nicht
entschließen.
Sie öffnete, als Emma bei ihr
klingelte.
„Lad mich zum Abendbrot ein!“ sagte
Emma und marschierte in
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