Verrat im Höllental
gut male. Um so nötiger erscheint mir der
Nachhilfe-Unterricht. Könnte ich schon leinwandstark pinseln in der Manier der
Kraniche...“
„...Cranachs“, verbesserte Karl. „Kraniche
sind die hier!“ Er bewegte die Arme wie Flügel.
„Ist ja egal!“ motzte Klößchen. „Jedenfalls
will ich mich endlich kulturell vervollständigen, nämlich malen — auf daß sich
die Nachwelt um meine Bilder... Nein, nicht die Nachwelt! Dann bin ich ja schon
verblichen. Die Jetzt-Welt soll sich um meine Bilder reißen. Und die Vorwelt
soll bedauern, daß es mich noch nicht gegeben hat. Und die Unterwelt — ja, die
soll ihre besten Fälscher an die Staffelei zwingen, damit sie malen in der
Manier Willi Sauerlichs.“
Gaby wäre fast von der Bank gefallen.
Glucksend hielt sie sich fest.
Tarzan biß in den Hosenstoff über
seinem Knie und verharrte eisern in dieser Haltung.
„Daß du Unterricht nimmst, Willi“,
sagte er gepreßt, „dazu kommt es, meine ich, doch gar nicht. Dein Anliegen ist
nur der Vorwand, um der Tussi auf die Bude zu rücken. Wir sind freundlich wie
Immobilienmakler, die ein Kartenhaus als Atombunker anpreisen oder ein
Luftschloß als Bürohaus verkaufen. Wir sülzen mit ihr. Dann begibt sich Gaby
ins Bad. Weil sie mal muß. Ist natürlich nicht wahr. Gaby spioniert nur.
Vielleicht liegt dort die Puderdose und...“
„Da legt man keine Puderdose hin!“ Gaby
richtete sich auf. „Sie könnte feucht werden. Schon ist der Puder zu Kleister
geworden. Man merkt wirklich, daß du keine Ahnung hast von weiblicher Lebensart.
Puder und Make up gehören auf die Frisierkommode. Und die steht im
Schlafzimmer.“
„Du könntest ohnmächtig werden, Pfote“,
schlug Karl vor. „Wir legen dich aufs Bett, und...“
„Überflüssig“, schnitt Gaby ihm das
Wort ab. „Emmas Puderdose ist auch nicht im Schlafzimmer. Eine Gold-Auster, wie
beschrieben, reist in der Handtasche umher.“
Für einen Moment schwiegen alle.
Dann meinte Klößchen: „Vielleicht nehme
ich aber doch Malunterricht. Schaden kann’s ja nicht.“
„Willi!“ wies Gaby ihn zurecht. „Es geht
darum, daß wir bei Nicole die Puderdose entdecken. Dann ist Agathe Tepler
überführt, vermutlich, und Emma zufrieden. Ergo (folglich) spendet sie.
Darum geht’s. Nicht um dich als Künstler.“
Karl, der Computer, überlegte, ob dies
der Moment sei, über die Cranachs, den Älteren und den Jüngeren, einen Vortrag
rauszulassen, der eine aktuelle (für den Augenblick wichtige) Bildungslücke seiner Freunde geschlossen hätte. Aber... nein, er entschied sich
anders und verschob die Cranachs auf später.
„Wenn Nicole die Puderdose hat, werde
ich sie ihr entlocken“, sagte Gaby. „Verlaßt euch auf mich. Zittern wir ab!“
Oskar scharrte im Laub unter einer
Kastanie und freute sich dann, daß die Pause vorbei war.
Sie radelten. Oskar hechelte. Es ging
auf Mittag. Das Verkehrsaufkommen der Innenstadt dünnte sich aus. Vor Pommes-Buden
drängten sich Ketchup-Fans. Die TKKG-Bande wurde überholt von einem
Notarztwagen mit eingeschaltetem Blaulicht. In der Sperlings-Gasse verwöhnten
Sonnenstrahlen die südseitige Häuserzeile. Die andere bekam mal wieder nichts
ab.
Porsche-Hubi war zu Hause. Jedenfalls
parkte sein Wagen auf dem angestammten Platz.
Die Haustür war offen, der Fahrstuhl
noch nicht repariert worden. Die TKKG-Bande stieg die Treppe hinauf.
Bei Nicole Tepler klingelten sie vergeblich.
„Sie ist nicht da“, sagte Porsche-Hubi
und schob den Kopf aus seiner Behausung. Ein 100-Volt-Lächeln strahlte auf. „Ah,
ihr seid’s. Grüß euch, Kids! Herein zu mir! Habt ihr euch in der Tür vertan?“
„Nicht direkt“, sagte Tarzan, während
sie Hubis Aufforderung folgten.
Er sah heute viel besser aus, hatte
wieder Farbe im Gesicht, als wäre ihm die Puderdose zur Nutzung überlassen
worden. Sogar der Gipsarm wirkte gesünder. In seiner Atelierwohnung quoll heiße
Musik aus einer Stereo-Anlage. Und auf dem Tisch stand ein
Junggesellen-Festmahl, bestehend aus einem Glas Wein und zwei Knäckebroten mit
Erdnußbutter.
Von den gefälschten Tafelbildern war
nichts mehr zu sehen.
„Die Polizei hat sie abgeholt“,
erklärte er traurig. „Trotzdem werde ich sie kaufen, sobald sie wieder
freigegeben sind. Aber nicht, um meinen Vater hinters Licht zu führen. Nein! Im
Gegenteil! Hätte ich gestern mittag gewußt, was ich jetzt weiß — nie hätte ich
diesen Schwindel angeleiert. Er ist nämlich gar nicht so — mein Vater,
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