Verrat in Paris
überflüssig.«
»Wieso?«
»Sie ist, wie sagt man …?« Daumier tippte sich an die Stirn. »
Retardataire.
Sie lebt im Pflegeheim Sacre Cœur. Die Nonnen sagen, sie kann nicht sprechen und befindet sich in einem sehr schlechten Gesundheitszustand.«
»Und was ist mit seiner Arbeit?« fragte Richard. »Er war Hausmeister?«
»In der Galerie Annika, einer Kunstgalerie in Auteuil. Das ist eine renommierte Galerie, bekannt für ihre Sammlung zeitgenössischer Kunst.«
»Und was hält man in der Galerie von ihm?«
»Ich habe nur kurz mit Annika gesprochen. Sie sagt, dass er ein stiller, verlässlicher Mensch war. Sie kommt später, um unsere Fragen zu beantworten.« Er sah auf die Uhr. »In der Zwischenzeit sollten wir alle versuchen, etwas zu schlafen. Wenigstens ein paar Stunden.«
»Und was wird aus Jordan?« fragte Beryl. »Woher soll ich wissen, dass er hier sicher ist?«
»Wie gesagt, er wird in eine Einzelzelle verlegt. Strikt isoliert …«
»Das könnte eine falsche Entscheidung sein«, gab Richard zu bedenken. »Dann gibt es keine Zeugen.«
Wenn ihm irgendwas passiert …
Beryl sah ihren Bruder an und erschauderte.
Jordan nickte. »Wolf hat Recht. Ich würde mich sicherer fühlen, wenn noch jemand mit mir in der Zelle wäre.«
»Aber sie könnten dich wieder zusammen mit einem angeheuerten Killer einsperren«, wandte Beryl ein.
»Ich weiß, mit wem ich die Zelle teilen möchte«, sagte Jordan. »Zwei harmlose Jungs. Hoffe ich.«
Daumier nickte. »Ich werde es veranlassen.«
Es versetzte Beryl einen Stich, als Jordan ging. In der Tür blieb er noch einmal stehen und winkte ihr zum Abschied zu. Sie spürte, dass ihr alles viel näher ging als ihm. Aber das ist typisch Jordie, versuchte sie sich aufzumuntern. Nie verliert er seine gute Laune.
Draußen dämmerte es gerade, und der morgendliche Verkehrslärm schwoll an. Beryl, Richard und Daumier standen auf dem Bürgersteig, jeder von ihnen kurz vor dem Zusammenbruch.
»Jordan ist jetzt sicher«, sagte Daumier. »Dafür sorge ich.«
»Ich möchte, dass er mehr als sicher ist«, entgegnete Beryl. »Ich möchte, dass er da rauskommt.«
»Dafür müssen wir seine Unschuld beweisen.«
»Dann tun wir das eben«, sagte sie.
Daumier sah sie an, er hatte Ringe unter den Augen. Der freundliche Franzose, in dessen Gesicht die Jahre ihre Spuren hinterlassen hatten, wirkte plötzlich viel älter. Er sagte:
»Was Sie tun müssen,
chérie,
ist, auf der Hut sein. Und unsichtbar bleiben.« Er ging zu seinem Wagen. »Heute Abend reden wir weiter.«
Als Beryl und Richard in der Wohnung in Passy ankamen, war Beryl kurz vorm Einnicken. Das letzte bisschen Anspannung war gewichen, sie hatte keinerlei Energie mehr. Glücklicherweise schien wenigstens Richard noch voll da zu sein, dachte sie, als sie aus dem Wagen stieg. Wenn sie jetzt umkippte, könnte er sie die Treppen hochtragen.
Und das tat er im Prinzip auch. Er legte den Arm um sie und führte sie durch die Tür und den Flur entlang ins Schlafzimmer. Dort setzte er sich zu ihr aufs Bett.
»Schlaf«, sagte er, »so lange du willst.«
»Eine Woche sollte reichen«, murmelte sie.
Er lächelte. Und obwohl die Müdigkeit ihr Wahrnehmungsempfinden beeinträchtigte, fühlte sie wieder das Knistern zwischen ihnen. Trotz ihrer Erschöpfung spürte sie Verlangen in sich aufsteigen. Sie erinnerte sich daran, wie er ohne Hemd in der Tür zu ihrem Schlafzimmer gestanden hatte. Sie dachte, es wäre sehr leicht, ihn jetzt in ihr Bett einzuladen, eine Umarmung, ein Kuss. Und dann viel, viel mehr.
Mein Verstand ist schon ganz vernebelt, ich konzentriere mich nicht mehr auf die wirklich wichtigen Dinge. Ich sehe ihn an, rieche ihn und schon kann ich nichts anderes mehr denken, als dass ich ihn will.
Er küsste sie sacht auf die Stirn. »Ich bin direkt nebenan«, sagte er und verließ das Zimmer.
Sie war zu müde, um sich auszuziehen, und lag völlig bekleidet auf dem Bett. Draußen war es jetzt schon hell, und Verkehrslärm drang in ihr Zimmer. Sobald dieser Albtraum vorbei war, dachte sie, musste sie eine Weile auf Distanz zu ihm gehen. Um wieder sie selbst zu werden. Ja, das würde sie tun. Sie würde sich in Chetwynd verstecken und darauf warten, dass diese wahnsinnige Anziehungskraft zwischen ihnen beiden verschwand.
Doch als sie die Augen schloss, kehrten die Bilder zurück, lebendiger und verführerischer als je zuvor. Sie folgten ihr in ihre Träume.
Richard schlief fünf Stunden und stand kurz vor Mittag
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