Verrat in Paris
auf. Er duschte, machte sich Eier und Toast und fühlte sich wieder fit. Der Tag war zu kurz für die vielen Dinge, die zu erledigen waren; der Schlaf würde warten müssen.
Er schaute zu Beryl rein und sah, dass sie noch schlief. Gut. Wenn sie aufwachen würde, sollte er von seiner Runde zurück sein. Und für den Fall, dass er noch nicht wieder da wäre, hinterließ er ihr eine Nachricht auf dem Nachttisch.
»Bin kurz weggegangen, aber um drei wieder da. R.« Dann legte er kurzerhand die Pistole daneben. Für den Fall, dass sie sie braucht, dachte er.
Nachdem er sich versichert hatte, dass die beiden Wachen noch da waren, verließ er die Wohnung und schloss die Tür hinter sich ab.
Sein erster Stopp war die Rue Myrha, Hausnummer 66, das Gebäude, in dem Madeline und Bernard gestorben waren.
Er hatte sich den Bericht der Pariser Polizei noch einmal vorgenommen und wieder und wieder die Aussage des Vermieters durchgelesen. Monsieur Rideau hatte behauptet, er habe die beiden Leichen am Nachmittag des 15. Juli 1973 gefunden und sofort die Polizei benachrichtigt. Bei der Befragung hatte er angegeben, dass die Dachwohnung an eine gewisse Mademoiselle Scarlatti vermietet war, die die Wohnung in unregelmäßigen Abständen nutzte und die Miete immer in bar bezahlte. Von Zeit zu Zeit hatte er aus der Wohnung Stöhnen und Wimmern und eine männliche Stimme gehört. Aber die einzige Person, die er jemals zu Gesicht bekam, war Mademoiselle Scarlatti, die er nicht genau beschreiben konnte, weil sie stets Kopftuch und Sonnenbrille trug. Trotzdem war Monsieur Rideau sicher, dass die tote Frau in der Wohnung die wollüstige Scarlatti war. Und der tote Mann? Der Vermieter hatte ihn noch nie gesehen.
Drei Monate nach seiner Zeugenaussage verkaufte Monsieur Rideau das Haus und verließ mit seiner Familie das Land.
Dieses letzte Detail war in dem Polizeibericht nur in einer Fußnote vermerkt: »Vermieter steht nicht länger für Zeugenaussagen zur Verfügung. Hat Frankreich verlassen.«
In Richard keimte der leise Verdacht auf, dass der Wegzug des Vermieters ihre wichtigste Spur sein könnte. Wenn er Rideaus momentanen Aufenthaltsort ausfindig machen und ihn nach den Begebenheiten von vor zwanzig Jahren fragen könnte …
Er klopfte an jeder Wohnung, aber es ergaben sich keine Spuren. Zwanzig Jahre waren eine lange Zeit; Leute waren ein- und wieder ausgezogen. Niemand erinnerte sich an Monsieur Rideau.
Richard ging nach draußen und blieb kurz auf dem Bürgersteig stehen. Ein Ball flog an ihm vorbei, dem eine Horde zerlumpter Kinder hinterherlief. Das endlose Fußballspiel, dachte er belustigt, als er das Gewirr aus schmuddeligen Armen und Beinen betrachtete.
Über die Köpfe der Kinder hinweg entdeckte er eine alte Frau, die auf ihrer Veranda saß. Er schätzte sie auf mindestens siebzig. Vielleicht lebte sie schon so lange hier, dass sie die ehemaligen Bewohner der Straße noch kannte.
Er ging hinüber zu der Frau und sprach sie auf Französisch an. »Guten Tag.«
Sie erwiderte seinen Gruß mit einem freundlichen, zahnlosen Grinsen.
»Ich versuche jemanden zu finden, der sich an Monsieur Jacques Rideau erinnert. Ihm gehörte das Haus da drüben.«
Er deutete auf die Nummer 66.
Sie antwortete ebenfalls auf Französisch: »Er ist weggezogen.«
»Kannten Sie ihn?«
»Sein Sohn war oft bei uns.«
»Ich habe gehört, die Familie hat Frankreich verlassen.«
Sie nickte. »Sie gingen nach Griechenland. Ich frage mich, wie sie das gemacht haben. Er mit seinem alten Auto! Und was die Kinder für Kleider anhatten! Aber plötzlich ziehen sie in eine Villa.« Sie seufzte. »Und ich bin immer noch hier. Und hier werde ich auch bleiben.«
Richard schaute sie fragend an. »Villa?«
»Es hieß damals, sie hätten eine Villa am Meer. Natürlich kann es sein, dass das nicht stimmt – der Junge hat ja immer Geschichten erfunden. Warum sollte er plötzlich die Wahrheit sagen? Jedenfalls hat er behauptet, es wäre eine Villa, an der Blumen hochrankten.« Sie lachte. »Inzwischen sind sie bestimmt eingegangen.«
»Die Familie?«
»Die Blumen. Hier haben sie noch nicht mal ihre Geranien gegossen.«
»Wissen Sie genauer, wohin sie gezogen sind?«
Die Frau zuckte die Schultern. »Irgendwohin ans Meer. Aber ist in Griechenland nicht alles am Meer?«
»Wissen Sie den Namen des Ortes?«
»Warum sollte ich mich an so was erinnern? Er war ja nicht
mein
Freund.«
Richard wollte gerade frustriert weggehen, da wurde ihm bewusst, was die
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