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Verrat in Paris

Verrat in Paris

Titel: Verrat in Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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stattdessen stöhnte sie und starrte unablässig an die Decke.
    »So ist sie seit vielen Jahren«, erklärte die Schwester. »Sie hatte mit zwölf Jahren einen Unfall. Sie fiel vom Baum und prallte mit dem Kopf auf Steine.«
    »Kann sie gar nicht sprechen? Gar nicht kommunizieren?«
    »Wenn ihr Bruder François da war, lächelte sie, sagte er. Er bestand darauf, sie lächeln gesehen zu haben. Aber …«
    Die Schwester zuckte die Achseln. »Ich habe nie was bemerkt.«
    »Hat er sie oft besucht?«
    »Jeden Tag. Immer um die gleiche Uhrzeit, um neun Uhr morgens. Er blieb bis zum Mittagessen, dann ging er zur Arbeit in die Galerie.«
    »Jeden Tag?«
    »Ja. Und sonntags blieb er länger – bis vier Uhr.«
    Richard sah die Frau im Bett an und versuchte sich vorzustellen, wie es für François gewesen sein musste, stundenlang in diesem Raum zu sitzen, mit diesen Geräuschen und diesem Geruch. Er hatte jede freie Minute bei seiner Schwester verbracht, ohne dass sie ihn auch nur erkannt hätte.
    »Es ist eine Tragödie«, sagte die Schwester. »François war ein guter Mensch.«
    Sie verließen das Zimmer und ließen die Mitleid erregende Gestalt auf ihrem Plastiklaken allein.
    »Was wird jetzt aus ihr?« fragte Richard. »Wird sich jetzt noch jemand um sie kümmern?«
    »Das spielt kaum noch eine Rolle.«
    »Warum sagen Sie das?«
    »Ihre Nieren versagen.« Die Schwester sah den Flur entlang, zu Julee Parmentiers Zimmer, und schüttelte traurig den Kopf. »In ein, zwei Monaten ist sie tot.«
    »Aber Sie müssen doch wissen, wohin er gegangen ist«, beharrte Beryl.
    Der französische Agent zuckte kaum merklich mit den Schultern. »Er hat es nicht gesagt, Mademoiselle. Er hat mir nur aufgetragen, die Wohnung zu bewachen. Damit Ihnen nichts passiert.«
    »Mehr hat er nicht gesagt? Er ist dann einfach weggefahren?«
    Der Mann nickte.
    Frustriert drehte Beryl sich um und ging zurück in die Wohnung. Sie las noch einmal Richards Nachricht: »Bin kurz weggegangen, aber um drei wieder da.« Keine Erklärung, keine Entschuldigung. Sie zerknüllte den Zettel und warf ihn in den Mülleimer. Und was sollte sie machen? Den ganzen Tag darauf warten, bis er zurückkäme? Und was war mit Jordan? Was war mit der Untersuchung?
    Und was war mit Mittagessen?
    Ihr Magenknurren ließ sich nicht mehr ignorieren. Sie ging in die Küche und öffnete den Kühlschrank. Ungläubig starrte sie auf den Inhalt: ein Karton Eier, ein Laib Brot und ein verschrumpeltes Würstchen. Kein Obst, kein Gemüse, nicht mal eine mickrige Karotte. Zweifelsohne hatte ein Mann den Einkauf erledigt.
    Ich denke nicht daran, das da zu essen, sagte sie sich und schloss die Kühlschranktür. Aber ich denke auch nicht daran zu verhungern. Ich will was Richtiges essen – mit ihm oder ohne ihn.
    Daumiers Männer hatten am Abend zuvor ihre Sachen in die Wohnung gebracht. Sie holte ihr unauffälligstes schwarzes Kleid aus dem Schrank, versteckte ihr Haar unter einem breitkrempigen Hut und setzte eine dunkle Sonnenbrille auf. Gar nicht schlecht, fand sie, als sie sich im Spiegel betrachtete.
    Dann verließ sie die Wohnung.
    Der Wachmann vor der Tür kam sofort auf sie zu. »Mademoiselle, Sie dürfen die Wohnung nicht verlassen.«
    »Aber
er
durfte gehen«, konterte sie.
    »Mr. Wolf hat uns extra angewiesen …«
    »Ich habe Hunger«, sagte sie. »Ich werde übellaunig, wenn ich Hunger habe, und ich habe keine Lust auf Eier und Toastbrot. Wenn Sie mir bitte sagen würden, wo die nächste Métro-Station ist …«
    »Sie wollen
alleine
gehen?« fragte er erschrocken.
    »Wenn Sie mich nicht begleiten.«
    Der Mann blickte voller Unbehagen die Straße hinunter. »Diesbezüglich habe ich keine Anweisung.«
    »Dann gehe ich jetzt eben«, erwiderte sie und schritt eilig davon.
    »Kommen Sie zurück!« Sie ging weiter. »Mademoiselle!« rief er. »Ich hole das Auto!« Sie drehte sich um und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. »Mit Vergnügen.«
    Ihre beiden Bewacher begleiteten sie in ein Restaurant in Auteuil, gleich um die Ecke. Sie vermutete, dass sie dieses Restaurant nicht wegen des guten Essens ausgewählt hatten, sondern wegen des kleinen Gastraums und der leicht im Blick zu behaltenden Eingangstür. Das Essen war kaum mehr als mittelmäßig: eine fade Vichysoisse und ein Stück Lamm, das auch als Leder durchgegangen wäre. Aber Beryl war so hungrig, dass sie alles aufaß und anschließend noch Appetit auf
tarte aux pommes
hatte.
    Nach dem Essen waren ihre beiden Begleiter bester

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