Verrat in Paris
Frau gerade gesagt hatte. »Sie meinen, der Sohn des Vermieters war der Freund Ihres Kindes?«
»Meiner Enkelin.«
»Hat er sie mal angerufen? Oder Briefe geschrieben?«
»Ein paar. Dann nicht mehr.« Sie schüttelte den Kopf. »So sind die jungen Leute. Nichts ist für die Dauer.«
»Hat sie die Briefe aufgehoben?«
Die Frau lachte. »Alle. Um ihrem Mann zu beweisen, dass sie schon als Mädchen begehrt war und er einen tollen Fang gemacht hat.«
Es brauchte einige Überredungskunst von Seiten Richards, bis die alte Frau ihn hineinbat. Sie gingen durch einen schmalen Gang in die Küche. Ihre Wohnung war dunkel und klein. Zwei kleine Kinder saßen am Tisch und kauten an Brotscheiben. Eine andere Frau – schätzungsweise Mitte dreißig, aber ihre Augen sahen älter aus – saß daneben und fütterte einen Säugling.
»Er will deine Briefe sehen, die von Gerard«, sagte die Großmutter.
Die junge Frau sah Richard misstrauisch an.
»Es ist wichtig, dass ich mit seinem Vater spreche«, erklärte Richard.
»Sein Vater will nicht gefunden werden«, sagte sie und fütterte weiter das Baby.
»Warum nicht?«
»Woher soll ich das wissen? Das hat Gerard mir nicht gesagt.«
»Hat es was mit dem Mord an den beiden Engländern zu tun?«
Sie hielt in der Bewegung inne. »Sind Sie auch Engländer?«
»Nein, Amerikaner.« Er nahm ihr gegenüber Platz. »Erinnern Sie sich an die Morde?«
»Das ist lange her.« Sie wischte dem Baby das Gesicht ab. »Ich war damals erst fünfzehn.«
»Gerard schrieb Ihnen eine Weile und dann plötzlich nicht mehr. Wieso nicht?«
Die Frau lachte verbittert. »Er hatte kein Interesse mehr. Typisch Mann.«
»Oder ihm ist etwas zugestoßen. Vielleicht konnte er Ihnen nicht mehr schreiben, obwohl er gern gewollt hätte.«
Wieder zögerte sie.
»Wenn ich nach Griechenland fahre, kann ich das für Sie herausfinden. Ich muss nur wissen, wie der Ort heißt.«
Sie saß einen Moment nachdenklich da. Dann wischte sie dem Baby das Kinn ab. Sie sah ihre beiden anderen Kinder an, denen die Nase lief und die quengelten. Sie würde am liebsten fliehen, dachte Gerard. Sie wünscht, ihr Leben wäre anders verlaufen. Egal wie, aber anders. Und sie denkt an ihren Freund aus vergangenen Tagen und daran, wie es wohl für sie beide geworden wäre in der Villa am Meer …
Sie stand auf und ging in ein anderes Zimmer. Kurz darauf kam sie zurück und legte einen kleinen Stapel Briefe auf den Tisch.
Es waren nur vier – nicht gerade ein besonders starker Liebesbeweis. Alle steckten noch in den Umschlägen. Richard überflog ihren Inhalt und bemerkte die teenagerhafte Sehnsucht, mit der sie geschrieben waren. »Ich komme zu dir zurück. Ich werde dich immer lieben. Vergiss mich nicht …« Doch im vierten Brief war die Leidenschaft deutlich abgekühlt.
Es gab keine Absenderadresse, weder in den Briefen noch auf den Umschlägen. Offensichtlich hatte man versucht, den Aufenthaltsort der Familie geheim zu halten. Aber auf einem der Umschläge war ganz deutlich der Poststempel zu lesen: Paros, Griechenland.
Richard gab der Frau die Briefe zurück. Sie hielt sie einen Moment umklammert, als ob sie ihre Erinnerungen festhielte.
Es ist so lange her, fast ein Leben lang, und was ist aus mir geworden …
»Wenn Sie Gerard finden … Wenn er noch lebt«, sagte sie, »fragen Sie ihn …«
»Ja?« sagte Richard sanft.
Sie seufzte. »Fragen Sie ihn, ob er sich an mich erinnert.«
»Das mache ich.«
Sie hielt die Briefe immer noch fest. Dann legte sie sie seufzend zur Seite und begann erneut, das Baby zu füttern.
Er hatte noch eine Sache zu erledigen, bevor er in die Wohnung zurückkehrte: das Pflegeheim Sacre Coeur.
Es war eine sichtbar schlechtere Einrichtung als die, die Richard am Tag zuvor besucht hatte. Hier gab es keine Einzelzimmer, keine sanftmütigen Nonnen, die durch die Flure liefen. Das hier war nur unwesentlich besser als ein Gefängnis, ein überfülltes noch dazu. Pro Zimmer gab es drei oder vier Patienten, von denen nicht wenige ans Bett gefesselt waren. Julee Parmentier, François’ zurückgebliebene Schwester, bewohnte eines der schlimmsten Zimmer. Halb bekleidet lag sie auf einer Matratze mit Plastiküberzug. Sie trug schützende Fausthandschuhe; um ihre Hüfte war ein Gürtel geschlungen, der auf beiden Seiten des Betts befestigt war und ihr gerade genug Spielraum bot, dass sie sich umdrehen konnte. Aufsetzen konnte sie sich nicht. Sie schien Richards Anwesenheit kaum zu registrieren;
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