Verrat in Paris
ihn gewesen. Doch als er sich zu ihr umdrehte, war seine Entscheidung bereits gefallen. Er war langsam zurück zum Auto gegangen. Durch die
Windschutzscheibe hatte er auf ihrem Gesicht die
Verwunderung darüber gesehen, dass ihr tot geglaubter Kollege lebte. Wie gelähmt hatte sie dagesessen und ihn angestarrt wie eine Erscheinung. Sie hatte sich nicht gerührt, als er zur Fahrertür ging. Und sie hatte sich auch nicht gerührt, als er seine schallgedämpfte Automatic durch die Autoscheibe auf sie richtete und feuerte.
Was für eine Verschwendung – so eine hübsche Frau, dachte er, als der Krankenwagen davonfuhr. Aber sie hätte es besser 93
wissen müssen.
Die Menge zerstreute sich. Auch er sollte besser gehen.
Foch machte einen Schritt in Richtung Bordstein. Unauffällig ließ er seine Pistole in den Rinnstein fallen und schob sie mit dem Fuß in einen Gully. Die Waffe war sowieso gestohlen und der Besitzer nicht mehr aufzuspüren; es war besser, wenn man sie in der Nähe des Tatorts fand. Das würde die Sache für Jordan Tavistock schwieriger machen.
Ein paar Blocks weiter betrat er eine Telefonzelle. Er rief seinen Kunden an.
»Jordan Tavistock wurde gerade wegen Mordverdachts
festgenommen«, sagte Foch.
»Mord an wem?« kam die scharfe Antwort.
»An einem von Daumiers Agenten. Einer Frau.«
»War es Tavistock?«
»Nein. Ich war es.«
Plötzlich fing sein Kunde an zu lachen. »Das ist wirklich köstlich! Ich bitte Sie, Jordan zu verfolgen, und daraufhin sorgen Sie dafür, dass er wegen Mordverdachts verhaftet wird.
Ich bin sehr gespannt, was Sie mit seiner Schwester anstellen!«
»Was soll ich tun?« fragte Foch.
Eine Pause folgte. »Ich denke, wir sollten die Sache endgültig klären«, hörte er. »Machen Sie Schluss.«
»Die Frau ist kein Problem. Aber ihr Bruder wird schwer zu fassen sein, wenn ich es nicht schaffe, irgendwie ins Gefängnis zu kommen.«
»Sie könnten sich doch auch verhaften lassen.«
»Und wenn sie meine Fingerabdrücke nehmen?« Foch
schüttelte den Kopf. »Das muss ein anderer übernehmen.«
»Ich werde jemanden finden«, kam die Antwort. »Aber eins nach dem anderen. Jetzt ist erst mal Beryl Tavistock dran.«
94
Inzwischen besaß ein Türke das Gebäude in der Rue Myrha. Er hatte es zu renovieren versucht und die Hauswand gestrichen, die vergammelten Balkone abgerissen und die fehlenden Dachziegel ersetzt. Doch das Haus wie auch die gesamte Straße schienen sich einer Verschönerung zu widersetzen. Es sei die Schuld der Mieter, erklärte Herr Zamir, als er mit ihnen die beiden Treppen ins Dachgeschoss hochstieg. Was soll man gegen Mieter tun, die ihren Kindern alles erlauben? Seinem Äußeren nach zu urteilen, war Zamir ein erfolgreicher Geschäftsmann, dessen maßgeschneiderter Anzug und
exzellentes Englisch auf eine reiche Herkunft schließen ließen.
In dem Haus lebten vier Familien, sagte er, die alle immer pünktlich die Miete zahlten. In der Dachwohnung lebte allerdings niemand – es habe die ganzen Jahre Probleme gegeben, sie zu vermieten. Natürlich hatten sich immer wieder Leute die Wohnung angesehen, aber wenn sie von dem Mord hörten, war ihr Interesse ganz schnell erloschen. Dieser alberne Aberglaube! Oh, die Menschen behaupteten alle, sie glaubten nicht an Gespenster, aber wenn sie dann in ein Zimmer kamen, in dem jemand gestorben war …
»Wie lange steht die Wohnung denn schon leer?« fragte Beryl.
»Seit einem Jahr. Seit ich das Haus gekauft habe. Und davor
…« Er zuckte die Schultern. »Keine Ahnung. Vielleicht steht sie schon jahrelang leer.« Er schloss die Tür auf. »Sie können sich gern umsehen.«
Eine Woge muffiger Luft schlug ihnen entgegen, als sie die Tür öffneten – der Geruch eines Raums, der zu lange nicht gelüftet worden war. Es war kein unattraktives Zimmer. Die Sonne schien durch ein großes, schmutziges Fenster herein. Von hier oben konnte man auf die Rue Myrha schauen. Auf der Straße sah Beryl Kinder beim Fußballspielen. Die Wohnung war leer; es gab nur nackte Wände und einen kahlen Flur. Durch eine geöffnete Tür konnte man ins Bad sehen, sie sah ein 95
angeschlagenes Waschbecken und angelaufene Armaturen.
Schweigend ging Beryl durch die Wohnung, ihr Blick
schweifte über den Holzfußboden. Neben dem Fenster blieb sie stehen. Der Fleck war kaum mehr zu erkennen, geblieben war nur noch ein brauner Schimmer auf den Eichendielen. Wessen Blut ist das? fragte sie sich. Mums? Dads? Oder das von ihnen beiden? Sie
Weitere Kostenlose Bücher