Verrat in Paris
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wog jedes seiner Worte genau ab. »Es war mein erster Auftrag.
Ich hatte gerade meine Ausbildung bei Langley beendet …«
»Beim CIA?«
Er nickte. »Ich wurde direkt nach der Uni rekrutiert. Ich hatte das eigentlich nicht vor, aber irgendwie waren sie an meine Doktorarbeit gekommen, eine Analyse der Waffenvorkommen in Libyen. Sie wussten, dass ich mehrere Sprachen fließend spreche und dass ich ziemlich viel Studentenförderung kassiert hatte. Und damit lockten sie mich – mit der Rückzahlung meines Kredits. Und mit den Auslandsreisen. Natürlich faszinierte mich auch die Vorstellung, als Analyst beim Geheimdienst zu arbeiten …«
»Und so lerntest du meine Eltern kennen?«
Er nickte. »Bei der NATO wusste man, dass es einen
Maulwurf gibt, der in Paris sitzen musste. Geheime Waffeninformationen gelangten in die DDR. Ich war gerade erst in Paris angekommen, also war ich sauber. Ich bekam die Order, mit Claude Daumier vom französischen Geheimdienst zusammenzu-arbeiten. Ich sollte einen Waffenbericht schreiben, der nahe genug an der Wahrheit dran war, um glaubwürdig zu sein, ihr aber nicht entsprach. Er wurde verschlüsselt und an ausgewählte Botschaftsangehörige in Paris übermittelt. Wir wollten so herausfinden, wo sich das Leck befand.«
»Und was hatten meine Eltern damit zu tun?«
»Sie waren bei der britischen Botschaft. Bernard im Bereich Kommunikation, Madeline im Protokollwesen. In Wirklichkeit arbeiteten beide für den MI 6. Bernard war einer der wenigen, der Zugriff zu geheimen Akten hatte.«
»Also gehörte er zu den Verdächtigen?«
Richard nickte. »Wie alle. Briten, Amerikaner, Franzosen. Bis hin zu den jeweiligen Botschaftern selbst.« Wieder begann er, auf und ab zu gehen und sich seine Worte zurechtzulegen. »Die gefälschte Akte wurde an die Botschaften geschickt. Wir 99
warteten darauf, ob sie – wie die anderen – auch in der DDR
auftauchen würde. Aber das geschah nicht. Sie landete hier, in diesem Zimmer. In einer Aktentasche.« Er blieb stehen und sah sie an. »Mit deinen Eltern.«
»Und damit schloss sich die Akte Delphi«, sagte sie. Bitter fügte sie hinzu: »Man hatte einen Sündenbock, der
glücklicherweise tot war und sich nicht mehr wehren konnte.«
»Ich habe es nicht geglaubt.«
»Trotzdem hast du die Untersuchung nicht weitergeführt.«
»Wir hatten keine andere Wahl.«
»Es war dir egal, wie die Wahrheit aussieht!«
»Nein, Beryl. Wir hatten keine Wahl. Man befahl uns, die Untersuchung einzustellen.«
Sie starrte ihn an. »Wer befahl das?«
»Meine Anweisungen kamen damals direkt aus Washington, Claudes Anweisungen gingen vom französischen Premierminister aus. Also wurden sämtliche Untersuchungen sofort eingestellt.«
»Und meine Eltern wurden als Verräter hingestellt«, sagte sie.
»Wie praktisch. Akte geschlossen.« Angewidert drehte sie sich um und lief aus dem Zimmer.
Er folgte ihr auf der Treppe nach unten. »Beryl! Ich habe nie daran geglaubt, dass es Bernard war!«
»Aber du hast die Schuld auf ihn abgewälzt!«
»Ich sagte doch, ich handelte auf Anweisung …«
»Und der musstest du natürlich folgen.«
»Ich wurde kurz drauf nach Washington zurückgerufen. Ich konnte den Fall nicht weiter verfolgen.«
Sie verließen das Gebäude und fanden sich im Chaos der Rue Myrha wieder. Ein Fußball flog an ihnen vorbei, kurz darauf folgte eine Gruppe zerlumpter Kinder. Beryl blieb auf dem 100
Bürgersteig stehen. Das grelle Sonnenlicht blendete sie. Der Straßenlärm, das Kindergeschrei – sie war plötzlich orientierungslos. Sie drehte sich um und sah an dem Gebäude hoch, zum Fenster der Dachwohnung. Plötzlich schossen ihr Tränen in die Augen.
»Was für ein Ort, um zu sterben«, flüsterte sie. »Was für ein schrecklicher Ort …«
Sie stieg in Richards Auto und zog die Tür zu. Es war eine Erleichterung, den Lärm und das Chaos der Rue Myrha auszublenden.
Richard glitt hinters Steuer. Einen Moment saßen sie schweigend da und beobachteten die schmutzigen Kinder beim Fußballspielen.
»Ich fahre dich jetzt zurück ins Hotel«, sagte er.
»Ich will zu Claude Daumier.«
»Warum?«
»Ich will seine Version dessen hören, was passiert ist. Ich will mich versichern, dass du mir die Wahrheit sagst.«
»Das tue ich, Beryl.«
Sie drehte sich zu ihm um. Sein Blick hielt ihrem stand. Einen ehrlicheren Blick gibt es nicht, dachte sie. Was nur beweist, dass ich zu leichtgläubig bin. Sie wollte ihm gern glauben, und genau das war
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