Verrat in Paris
»Als ich sah, wie du die Waffe hältst, ist mir plötzlich wieder eingefallen, was du früher gemacht hast.«
Er setzte sich neben sie. »Ich habe nie jemanden umgebracht, falls du das meinst.«
»Aber du wurdest dafür ausgebildet.«
»Zur Selbstverteidigung. Das ist nicht dasselbe wie Mord.«
Sie nickte bedächtig, als ob es ihr schwer falle, ihm zuzustimmen.
Er nahm die Glock aus dem Halfter und hielt sie ihr hin. Sie betrachtete sie mit unverhohlenem Abscheu.
»Ich weiß, was du denkst«, sagte er. »Das ist eine
halbautomatische Waffe. Neun-Millimeter-Geschosse, sechzehn Patronen pro Magazin. Für manche Leute ist diese Pistole ein Kunstwerk. Für mich ist sie so was wie die letzte Möglichkeit.
Etwas, was ich hoffentlich nie benutzen muss.« Er legte die 132
Pistole auf den Couchtisch. Sie verstärkte noch den Eindruck der Bedrohung. »Nimm sie mal in die Hand, wenn du willst. Sie ist nicht schwer.«
»Lieber nicht.« Beryl erschauderte und sah in die andere Richtung. »Ich habe keine Angst vor Waffen. Ich meine, ich hatte schon ein Gewehr in der Hand. Ich bin früher mit Onkel Hugh schießen gegangen – Tontauben schießen.«
»Das ist nicht ganz dasselbe.«
»Nein. Nicht ganz.«
»Du hast mich gefragt, warum ich aufgehört habe.« Er zeigte auf die Glock. »Das war ein Grund. Ich habe nie jemanden getötet, und ich will auch nie in die Situation kommen. Für mich war der Geheimdienst wie ein Spiel. Eine Herausforderung. Das Feindbild war klar – die Sowjets und die DDR. Aber heute …«
Er nahm die Pistole und hielt sie nachdenklich in der Hand.
»Die Welt hat sich verändert. Heute weiß man nicht mehr, wer der Feind ist. Und ich wusste, dass ich eines Tages die Grenze erreicht haben würde. Ich war schon kurz davor.«
»Die Grenze?«
»Mein Alter, weißt du. Mit vierzig reagiert man nicht mehr wie mit zweiundzwanzig. Ich rede mir ein, dass ich dafür wenigstens klüger geworden bin, aber in Wirklichkeit bin ich nur vorsichtiger. Und ich riskiere viel weniger.« Er sah sie an.
»Egal, um wen es geht.«
Ihr Blick traf seinen. Als sie sich so ansahen, hatte er das Gefühl, dass er am liebsten draufloserzählen würde. Dass er am allerwenigsten ihr Leben riskieren wollte. Wann war aus dieser Sache mehr als nur ein Babysitterjob geworden, fragte er sich.
Wann war es zu etwas ganz anderem geworden? Zu einer Mission, einer Obsession.
»Du machst mir Angst, Richard«, sagte sie.
»Du meinst die Pistole.«
133
»Nein, dich. Weil ich so wenig über dich weiß. Weil du mir so viel verheimlichst.«
»Ich verspreche dir, dass ich ab jetzt ganz ehrlich zu dir bin.«
»Und dabei kommen dann wieder solche Halbwahrheiten heraus. Wie zum Beispiel, dass du meine Eltern nicht kennst.
Oder nicht weißt, wie sie starben. Verstehst du, ich erlebe hier gerade meine Kindheit wieder! Onkel Hugh und seine Heim-lichtuerei.« Sie stieß einen frustrierten Seufzer aus und wandte den Blick ab. »Und dann sehe ich dich … mit diesem Ding.«
Er streichelte ihr Gesicht und drehte es zärtlich in seine Richtung. »Das ist nur ein böser Moment«, murmelte er.
»Bald ist alles vorbei.« Sie sah ihn an, ihre Augen waren klar und feucht, das Haar fiel über ihre Schultern. Sie will mir vertrauen, dachte er. Aber sie hat Angst.
Er konnte nicht anders. Er küsste sie. Einmal. Zweimal. Beim zweiten Mal spürte er, wie ihre Lippen nachgaben, wie ihr ganzer Körper weich wurde. Er küsste sie ein drittes Mal und ließ seine Finger durch ihr seidiges Haar gleiten. Sie seufzte, sie ergab sich, sie lud ihn ein, sie sank auf die Couch.
Und plötzlich beugte er sich über sie. Ihre Lippen trafen sich.
Sie waren wie elektrisiert. Sie legte die Arme um seinen Hals und zog ihn an sich – und erschrak. Schon wieder diese verdammte Pistole! Das Halfter hatte sich in ihre Brust gedrückt und sie damit an all die unschönen Dinge erinnert, die heute geschehen waren. Und an all die Gefahren, die noch auf sie lauerten.
Er betrachtete sie, ihr Haar, das auf den Kissen ausgebreitet war, und in ihren Augen sah er eine Mischung aus Furcht und Begehren. Nicht jetzt, dachte er. Nicht so.
Langsam rückte er von ihr ab und sie setzten sich wieder auf.
Einen Moment lang saßen sie stumm nebeneinander auf der Couch und berührten sich nicht.
134
Sie sagte: »Ich bin noch nicht soweit. Ich vertraue dir mein Leben an, Richard. Aber mein Herz, das ist was anderes.«
»Ich verstehe.«
»Dann verstehst du sicher auch, dass ich kein
Weitere Kostenlose Bücher