Verrat in Paris
wies ihm die vierte und letzte Pritsche zu. Er setzte sich und sah aus, als sei er überrascht über die Umstände, in denen er sich befand. Sein Name war François, und nach dem, was Jordan mit seinen dürftigen Französischkenntnissen verstehen konnte, schien er ein Verbrechen begangen zu haben, das mit dem schwachen Geschlecht zu tun hatte. Vielleicht hatte er eine Prostituierte angesprochen? François schien nicht besonders erpicht darauf, es zu erzählen. Er saß ganz einfach auf seinem Bett und starrte 137
den Fußboden an. Wir sind beide Neulinge hier, dachte Jordan.
Die anderen beiden Insassen beobachteten Jordan immer noch.
Es waren mürrische junge Männer, beide ganz offensichtlich Soziopathen. Auf die würde er ein Auge haben müssen.
Das Abendessen kam – ein grauenhaftes Gulasch mit
französischem Weißbrot. Jordan starrte die braune Masse an und dachte sehnsüchtig an das Dinner vom Vorabend – pochierten Lachs und gebratenes Stubenküken. Aber na gut. Man musste eben essen, was es gab. Schade, dass zum Essen kein Wein gereicht wurde. Ein schöner Beaujolais vielleicht oder ein schlichter Burgunder. Er aß einen Bissen Gulasch und kam zu dem Schluss, dass er sich sogar über einen schlechten Wein freuen würde – Hauptsache, er würde diesen faden Geschmack des Essens überdecken. Jordan zwang sich, das Gulasch zu essen, und gelobte im Stillen, dass er als Erstes, wenn er hier rauskäme – falls er hier rauskäme –, in ein gutes Restaurant gehen würde.
Um Mitternacht wurde das Licht ausgeschaltet. Jordan streckte sich auf der Decke aus und versuchte zu schlafen, aber es gelang ihm nicht. Zum einen, weil seine Zellengenossen so laut schnarchten, als wollten sie Tote aufwecken. Zum anderen, weil die Ereignisse des Tages ihm durch den Kopf gingen. Die Fahrt mit Colette über den Boulevard Saint-Germain. Wie sie in den Rückspiegel geschaut hatte. Wenn er nur genauer darauf geachtet hätte, wer ihnen zum Hotel gefolgt sein könnte. Und dann erinnerte er sich wider Willen daran, wie er sie im Auto gefunden hatte, wie ihr Blut an seinen Händen geklebt hatte.
In ihm stieg Wut auf- eine ohnmächtige Wut über ihren Tod.
Es ist meine Schuld, dachte er. Wenn sie ihn nur nicht hätte bewachen müssen!
Doch das konnte nicht der Grund sein, warum man sie umgebracht hatte, überlegte er weiter. Er war ja gar nicht in der Nähe, als der Mord geschah. Warum wurde sie dann getötet?
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Hatte sie vielleicht etwas gewusst, irgendetwas gesehen …?
… oder jemanden?
Seine Gedanken rasten in eine neue Richtung. Colette musste im Rückspiegel jemanden erkannt haben, jemanden in einem Auto, das ihnen folgte. Nachdem sie Jordan beim Ritz abgesetzt hatte, hatte sie diesen Jemand vielleicht noch einmal gesehen.
Oder der Jemand hatte sie gesehen und wusste, dass sie ihn identifizieren konnte.
Also musste der Killer jemand sein, den Colette gekannt hatte.
Jemand, den sie erkannt hatte.
Er war so mit seinem Gedankenpuzzle beschäftigt, dass er den quietschenden Bettfedern von einem der Nachbarbetten keine Aufmerksamkeit schenkte. Erst als er eine leise Bewegung wahrnahm, machte er sich klar, dass einer seiner Zelleninsassen auf sein Bett zukam.
Es war dunkel; er konnte die Gestalt nur schemenhaft erkennen. Einer der beiden jungen Ganoven, dachte er, der sich seine Jacke holen wollte.
Jordan lag absolut bewegungslos da und zwang sich, ruhig und gleichmäßig zu atmen. Lass den Feigling in dem Glauben, dass ich schlafe. Wenn er nahe genug dran ist, habe ich eine Überraschung für ihn.
Der Schatten huschte lautlos durch die Dunkelheit. Jetzt war er noch zwei Meter entfernt, jetzt noch eineinhalb. Jordans Herz hämmerte, er spannte seine Muskeln an. Noch ein bisschen näher. Noch ein bisschen. Gleich streckt er die Hand nach meiner Jacke am Fußende aus …
Aber der Mann bewegte sich auf das Kopfende des Bettes zu.
Jordan machte im Dunkeln eine Bewegung aus – einen Arm, der zum Schlag ausholte. Jordans Hand schoss in dem Moment nach vorn, als sein Angreifer zuschlug.
Er bekam den anderen Mann am Handgelenk zu fassen und 139
hörte ihn einen Laut der Überraschung ausstoßen. Jetzt versuchte sein Angreifer, ihn mit der freien Hand zu erwischen.
Jordan wehrte den Schlag ab und sprang aus dem Bett. Das Handgelenk seines Angreifers noch immer umklammert, drehte er ihm den Arm um. Schmerzensschreie folgten. Der Mann strampelte, um sich loszumachen, doch Jordan hielt ihn fest. Er würde ihn nicht
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