Verrat in Paris
Sekunden lang passierte nichts, dann hörten sie Schritte. Langsam fiel die Tür ins Schloss, und die Umrisse der Eindringlinge waren auszumachen – zwei Männer, die jetzt im Dunkeln standen. Beryl spürte, wie Richard neben ihr die Muskeln anspannte. Beinahe hörte sie sein stummes »eins-zwei-drei«. Plötzlich sprang er auf den Mann zu, der am nächsten bei ihnen stand; die Wucht seines Angriffs riss die beiden Männer zu Boden.
Beryl hob die Lampe und ließ sie auf den Kopf des zweiten Eindringlings krachen. Er sackte vor ihr in sich zusammen, fiel auf die Knie, Gesicht nach unten, und stöhnte. Sie hockte sich neben ihn und durchsuchte ihn nach Waffen. Durch seine Jacke fühlte sie einen harten Gegenstand unter seinem Arm. Ein Pistolenhalfter? Sie rollte ihn auf den Rücken. Ein Lichtschein fiel durch den Türspalt auf sein Gesicht. Da erkannte sie ihren Fehler.
»Oh Gott«, sagte sie. Sie sah Richard an, der gerade seinen Gegner beim Kragen gepackt hatte und ihn gegen die Wand drängte. »Richard, nicht!« schrie sie. »Tu ihm nicht weh!«
Er ließ von ihm ab, hielt den Mann aber weiter am Kragen gepackt. »Warum nicht, verdammt noch mal?« rief er.
»Weil es die falschen sind!« Sie ging zum Schalter an der Wand und schaltete das Licht ein.
Richard blinzelte, das helle Licht blendete ihn. Er starrte den Hotelmanager an, der sich in seinem Griff wand. Dann drehte er 127
sich um und sah zu dem Mann herüber, der stöhnend an der Tür lag. Es war Claude Daumier.
Sofort ließ Richard den Hotelmanager los, der völlig verängstigt zurückwich. »Entschuldigung«, sagte Richard. »Ich habe mich geirrt.«
»Wenn ich gewusst hätte, dass Sie es sind«, sagte Beryl und presste einen Eisbeutel auf Daumiers Kopf, »hätte ich nicht so hart zugeschlagen.«
»Wenn Sie gewusst hätten, dass ich es bin«, brummte Daumier, »hätten Sie hoffentlich überhaupt nicht
zugeschlagen.« Er setzte sich auf und griff dabei nach dem Eisbeutel, so dass er nicht runterrutschen konnte. » Zut alors, was haben Sie da benutzt, chérie? Einen Backstein?«
»Eine Lampe. Keine besonders große übrigens.« Sie musterte Richard und den Hotelmanager. Beide waren schlimm
zugerichtet – vor allem der Manager. Ein blaues Auge zeugte deutlich von Richards Faust. Jetzt, da der Tumult vorbei war, sie in Sicherheit waren und im Büro des Hotelmanagers saßen, fand Beryl die Situation eigentlich sehr komisch: Ein erfahrener Agent des französischen Geheimdiensts war durch eine Lampe außer Gefecht gesetzt worden. Richard rieb sich noch immer seine schmerzenden Fingerknöchel. Und der arme Hotelmanager hielt geflissentlich Abstand zu diesen Knöcheln. Sie hätte sich kaputtlachen können – wenn nicht alles so beängstigend gewesen wäre.
Es klopfte. Automatisch verkrampfte sich Beryl, entspannte sich aber sofort wieder, als ein Polizist hereinkam. Mein Adrenalinspiegel ist immer noch hoch, dachte sie, als Daumier und der Polizist sich auf Französisch unterhielten. Ich rechne immer noch mit dem Schlimmsten.
Der Polizist entfernte sich wieder und zog die Tür hinter sich zu.
128
»Was hat er gesagt?« fragte Beryl.
»Die Schüsse wurden von einem Gebäude von der gegen-
überliegenden Seite des Platzes abgefeuert«, sagte Daumier.
»Auf dem Dach wurden die Patronenhülsen gefunden.«
»Und der Schütze?« fragte Richard.
Daumier schüttelte bedauernd den Kopf. »Ist verschwunden.«
»Dann ist er also noch irgendwo unterwegs«, stellte Richard fest. »Und wir wissen nicht, wann er wieder zuschlagen wird.«
Er wandte sich an den Manager. »Was ist mit der
Telefonleitung? Wer könnte sie durchtrennt haben?«
Der Mann wich einen Schritt zurück, als ob er einen weiteren Schlag erwartete. »Ich weiß es nicht, Monsieur! Eines der Zimmermädchen sagte, sie habe heute für ein paar Stunden ihren Hauptschlüssel vermisst.«
»Also hätte jeder reinkommen können.«
»Aber es war niemand von unserem Personal! Wir haben viele wichtige Gäste, da können wir uns ungeprüfte Angestellte nicht leisten.«
»Ich möchte, dass alle noch mal überprüft werden.«
Der Manager nickte kleinlaut, dann verließ er das Büro.
Richard ging im Raum auf und ab, dabei lockerte er seine Krawatte. »Wir haben es mit einem Eindringling zu tun, der die Telefonleitung durchtrennt hat. Mit einem Schützen auf der anderen Seite des Platzes. Mit einem Präzisionsgewehr, das auf Beryls Zimmer gerichtet ist. Claude, es wird immer schlimmer.«
»Warum
Weitere Kostenlose Bücher