Verrat in Paris
verfolgt. Warum seid ihr nicht in der Wohnung geblieben?«
»Es war mein Fehler, du hast Recht. Ich hätte sie nicht allein lassen sollen. Ich kann es mir nicht erlauben, noch mehr Fehler zu machen.«
Daumier seufzte. »Du und ich, Richard, wir kennen uns so lange. Es ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, um einander das Vertrauen zu kündigen.«
Einen Moment lang blieb es am anderen Ende der Leitung stumm. Dann sagte Richard: »Es tut mir Leid, aber ich habe keine andere Wahl, Claude. Wir tauchen unter.«
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»Dann werde ich euch nicht mehr helfen können.«
»Da müssen wir allein durch. Ohne deine Hilfe.«
»Richard, warte …«
Aber Richard hatte schon aufgelegt. Daumier starrte den Hörer an, dann legte er ihn langsam auf die Gabel. Es hatte keinen Zweck zu versuchen, den Anruf zurückverfolgen zu lassen; Richard hatte mit Sicherheit aus einer Telefonzelle angerufen –
und sicher aus einer anderen Gegend als der, in der sie wohnten.
Der Mann war mal Profi gewesen; er kannte die Tricks.
Vielleicht – aber nur vielleicht – würden die beiden deshalb überleben.
»Viel Glück, mein Freund«, murmelte Daumier. »Ich fürchte, du wirst es brauchen.«
Richard riskierte einen weiteren Anruf von der Telefonzelle, diesmal nach Washington, D.C.
Sein Geschäftspartner nahm den Anruf in seiner üblichen uncharmanten Art entgegen. »Hier Sakaroff.«
»Niki, ich bin’s.«
»Richard? Ist es schön in Paris? Lässt du’s dir gut gehen?«
»Es ist beschissen. Pass auf, ich kann nicht lange reden. Es gibt Schwierigkeiten.«
Niki seufzte. »Warum überrascht mich das nicht?«
»Es geht um den alten Delphi-Fall. Erinnerst du dich? Paris, 1973. Das Leck bei der NATO.«
»Ach ja.«
»Delphi ist wieder zum Leben erwacht. Ich brauche deine Hilfe, um ihn zu identifizieren.«
»Ich war beim KGB, Richard, nicht bei der Stasi.«
»Aber du hattest Kontakte in die DDR.«
»Nicht direkt. Ich hatte nicht viel mit den Stasi-Agenten zu 178
tun. Die DDR-Leute, weißt du … die agierten lieber
eigenständig.«
»Wer hat denn dann Ahnung von Delphi? Es muss doch einen alten Kontakt geben, an den du dich wegen Informationen wenden kannst.«
Es folgte eine kurze Pause. »Vielleicht …«
»Ja?«
»Heinrich Leitner«, sagte Sakaroff. »Er kann dir möglicherweise weiterhelfen. Er hat die Stasi-Operationen in Paris betreut.
Aber er war kein Feldspieler – er hat Ostberlin nie verlassen.
Vielleicht weiß er dennoch, worum es bei Delphi ging.«
»Okay, mit diesem Mann muss ich reden. Wie komme ich an ihn ran?«
»Das ist das Schwierige. Er ist in Berlin …«
»Kein Problem. Da fahren wir hin.«
»… in einem Hochsicherheitsgefängnis.«
Richard stöhnte. »Das ist ein Problem.« Frustriert drehte er sich um und schaute aus der Telefonzelle auf die U-Bahn-Station. »Ich muss ihn treffen, Niki.«
»Du brauchst eine offizielle Erlaubnis. Das dauert Tage.
Papiere, Unterschriften …«
»Das muss ich eben in Kauf nehmen. Wenn du ein paar Anrufe erledigen könntest, würde das die Sache sicher beschleunigen.«
»Dafür kann ich nicht garantieren.«
»Ich habe verstanden. Ach, und eins noch«, sagte Richard.
»Wir suchen einen Hugh Tavistock. Er scheint verschwunden zu sein. Hast du was davon gehört?«
»Nein, aber ich werde mal bei meinen Quellen nachhören.
Noch was?«
»Das sag ich dir dann.«
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Sakaroff grunzte. »Ich habe befürchtet, dass du das sagst.«
Richard hängte auf. Als er die Telefonzelle verließ, sah er sich in der U-Bahn-Station um. Ihm fiel nichts Verdächtiges auf, nur die üblichen Nachtschwärmer – Händchen haltende Paare, Studenten mit Rucksäcken.
Die Bahn nach Creteil-Préfecture rollte ein. Richard stieg ein, fuhr drei Stationen und stieg wieder aus. Er wartete ein paar Minuten auf dem nächsten Bahnsteig und betrachtete die Leute.
Niemand kam ihm bekannt vor. Er war erleichtert, dass er nicht verfolgt wurde, und stieg in die Bahn nach Bobigny-Picasso. An der Haltestelle Gare de l’Est stieg er aus, verließ die U-Bahn-Station und machte sich eilig auf den Weg zur Pension.
Beryl war noch wach und saß in einem Sessel am Fenster.
Sie hatte das Licht ausgeschaltet, und in der Dunkelheit war sie nicht mehr als eine Silhouette vor dem nächtlichen Himmel.
Er schloss die Tür und verriegelte sie. »Beryl«, begrüßte er sie.
»Alles in Ordnung?«
Er dachte, dass er sie nicken sah. Oder zitterte nur ihr Kinn, als sie tief Luft holte und ein leises Seufzen von sich
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