Verrat und Verführung
auf seiner Unterlippe, die dunklen Flecken in seinem Gesicht, die von Buckleys Fausthieben zeugten. Mit Simon allein zu sein, beschleunigte ihre Herzschläge fast schmerzhaft. Voller Unbehagen und innerer Anspannung erinnerte sie sich an die letzte Begegnung am vergangenen Abend, an die Streitigkeiten, die schweren Beleidigungen, die schallende Ohrfeige, die sie ihm verpasst hatte. Sie stand auf und versuchte nicht an ihre nasse, unbequeme Kleidung zu denken. Wie eine zweite Haut klebte der Stoff an ihr.
Als würde diese Unannehmlichkeit noch nicht genügen, tauchte Mark Buckleys Bild in ihrer Fantasie auf und schien eine unüberwindliche Barriere zwischen Simon und ihr zu errichten. Neue Qualen erfüllten ihre Brust.
Mühsam zwang sie sich zur Ruhe und grüßte in möglichst kühlem, herablassendem Ton: „Guten Tag, Lord Rockley. Sicher muss ich nicht fragen, was Euch hierher führt.“
Die markanten dunklen Brauen erhoben, musterte er sie von Kopf bis Fuß. Ein dünnes Lächeln umspielte seine Lippen, als wüsste er ganz genau, was in ihr vorging. „Nein, danach müsst Ihr Euch nicht erkundigen, Miss Atherton.“ Langsam ließ er seinen Blick durch die große Höhle schweifen, inspizierte die Truhen und Säcke voller gestohlener Güter, die sich entlang der Felswände immer noch aneinanderreihten. Dann schaute er Christina erneut an. „Während ich da draußen ein wildes Tier in Menschengestalt jagte, sah ich Euch durch den Wald reiten. Ich hielt Euch für einen von Buckleys Spießgesellen und folgte Euch, in der Hoffnung, Ihr würdet mich zu seinem Schlupfwinkel geleiten. Glücklicherweise habt Ihr genau das getan. Falls mir das Schicksal gewogen ist, wird der Schurke hierher zurückkehren, und ich erwische ihn.“
„In dieser Gegend gibt es keine wilden Tiere, Sir, wie Ihr Mark Buckley zu nennen beliebt. Nur Männer, die dem Gesetz entrinnen wollen“, erwiderte Christina provozierend und hasste die Wirkung, die er auf sie ausübte, dieses mannhafte Selbstvertrauen.
Der feuchte Umhang betonte die Konturen seines schlanken, breitschultrigen Körpers. Im Kerzenschein fiel ihr wieder einmal der unglaublich klare Glanz seiner Silberaugen auf. Gegen ihren Willen empfand sie eine eigenartige Erregung. Trotz seines verächtlichen Hohns fühlte sie sich zu diesem viel zu attraktiven Mann hingezogen. Da standen sie, allein an diesem verlassenen Ort, wo die Elemente mit Blitz, Donner und Regen regierten und eine Atmosphäre voll knisternder Spannung erzeugten.
„Falls Ihr glaubt, Buckley würde hier aufkreuzen, könnt Ihr lange warten“, sagte sie kampflustig. „Mag er auch ein Verbrecher sein, er ist überaus schlau – gewiss nicht so dumm, wie Ihr anscheinend vermutet.“
In Simons Augen flammte ein Licht auf, das Christina nicht zu deuten wusste, und erlosch sofort wieder.
Sarkastisch lächelte er. „Wie eifrig Ihr Euch für ihn einsetzt … Und Ihr, Miss Atherton? Was habt Ihr hier verloren, wenn Ihr Euch nicht mit Buckley treffen werdet?“
„Falls Ihr es nicht bemerkt habt, Lord Rockley“, spottete sie, „da draußen tobt ein Gewitter, und ich wollte in der Höhle Schutz suchen.“
„Ziemlich leichtsinnig, ein Ausritt bei diesem Wetter …“
„Als ich aufgebrochen bin, hat es noch nicht geregnet. Ich suchte nach William. Letzte Nacht kam er nicht heim. Natürlich sorge ich mich um ihn. Sobald der Regen nachlässt, werde ich zurückreiten.“
„Das müsst ihr nicht. Ihr könntet den Tunnel benutzen, der diese Höhle mit dem Haus verbindet. So wie am Abend des Balls.“
„Ja, das könnte ich. Aber meine Stute würde es nicht schätzen, wenn ich sie durch den finsteren, schmalen Gang zerrte. Außerdem ist die Tür am anderen Ende versperrt, und der Schlüssel befindet sich in der Küche.“
Die Hände in die Hüften gestemmt, schaute Simon sich wieder um. „Also müssen wir hier ausharren, bis es zu regnen aufhört. Während wir warten, sollten wir’s uns ein bisschen bequemer machen.“ Er legte seinen Umhang ab, breitete ihn über eine große Kiste und setzte sich darauf.
Ärgerlich runzelte sie die Stirn. „Wenn Ihr glaubt, ich würde Eure Gesellschaft willkommen heißen, seid Ihr furchtbar eingebildet. Ihr solltet verschwinden. Das fände ich viel erfreulicher.“
„Schickt Ihr mich in dieses grässliche Unwetter hinaus?“
„Ja“, bestätigte sie frostig und reckte ihr bebendes Kinn empor, „denn das würde mich von Eurer widerwärtigen Gegenwart befreien.“
Genau so eisig
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