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Verrückte Lust

Verrückte Lust

Titel: Verrückte Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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Tisch, als sie zu ihm trat.
    »Was ist, du Blödian?« rief sie.
    Er fuhr zurück – die Bewegung eines Mannes, der versucht, ein Megaphon neben seinem Ohr wegzuschieben.
    »Was willst du? Na los, sag schon!«
    »Ich will ein bißchen Aufmerksamkeit!« keuchte er. »Was ist los – geb ich dir nicht genug Trinkgeld?« Schweigen. »Hör mal«, flötete er, und ein gemeines Glitzern trat in seine Augen,
    »wer ist der Kerl da hinten? Soll ich ihm einen Knoten in den Rücken machen?«
    »Idiot!« rief sie und erhob die Stimme. »Dein Hirn besteht bloß aus Muskeln. Sieh dich doch an: eine Wagenladung
    Fleisch! Soll ich dir etwa um den Hals fallen, bloß weil du gestern abend einen abgekarteten Kampf gewonnen hast? In einem fairen Kampf würde dich doch jeder
    auseinandernehmen…«
    Es folgten noch ein paar gemeine, giftige Bemerkungen, und jede davon war unter die Gürtellinie gezielt. Er war ein so großer Bursche, und doch fiel er in sich zusammen; in seinen Augen standen Tränen. Er war still; er legte das Kinn auf die Brust, als wollte er sich gegen einen Würgegriff verteidigen.
    Komisch! Der Mann der tausend Griffe, der Riese mit dem Körper eines Gottes, mit Sehnen aus Stahl und gewaltigen Muskeln, saß da und zog den Kopf ein wie eine Schildkröte.
    Wie ein Stück Knete. Darauf lief es hinaus: Er war wie ein Stück Knete in ihren Händen. Jeder konnte es sehen.
    Tony Bring sah peinlich berührt zu. Und doch war es, wie einer der Gäste im Flüsterton bemerkte, komisch zu sehen, wie dieser Mann jeden Tag herkam, um sich seine Bestrafung abzuholen. Er schien sie zu genießen. Dieser große, polternde, gutmütige Kerl würde zweifellos schon morgen wieder
    hereingestolpert kommen, mit seinen steinernen Augen einen Blick in die Runde werfen und einen herzlichen Gruß brüllen, mit einer Stimme, die alle erzittern lassen würde. Außerdem glaubte er singen zu können. Wenn er Hildred sah, ging er zum Klavier, legte seine schweren Pranken auf die Tasten und gab schleimige Liebeslieder von sich. »Song of India« war sein Lieblingslied. Verzweifelt bemühte er sich, die Worte mit Zärtlichkeit zu erfüllen, doch sie purzelten ihm aus dem Mund wie ausgefallene Zähne.
    »Sieh ihn dir an!« sagte Hildred, als die Erregung sich gelegt hatte und sie zu ihrem Platz in der Ecke beim Fenster
    zurückgekehrt war. »Sieh ihn dir an! Er windet sich vor Angst und Schmerz. Du liebe Zeit, er heult doch nicht etwa?«
    »Bitte, Hildred, das reicht! Nicht auch noch Schadenfreude.«
    »Sag bloß, er tut dir leid.« Ihre Augen blitzten.
    »Ich weiß nicht. Mir wird vom Zusehen schlecht – als würde ich sehen, wie ein Hund in den Bauch getreten wird.«
    »Lächerlich!« sagte Hildred. »Du hast keine Ahnung, wie es ist, wenn man mit solchen Idioten zu tun hat.«
    »Vielleicht… gibt es ja auch andere Methoden…«
    Ein kurzes, verächtliches Lachen unterbrach ihn. »Du bist ein Trottel!« sagte sie. »Mit einem solchen Idioten Mitleid zu haben! Und die Art, wie du andere in Schutz nimmst«, fuhr sie fort, »besonders Leute, die du nicht in Schutz nehmen darfst, läßt mich aussehen, als wäre ich gemein.« Ihre Stimme war ärgerlich und rauh geworden. Sie drehte sich abrupt um und nickte. »Siehst du die Frau da, mit den weißen Haaren? Wenn es etwas gibt, das ich ekelhaft finde, dann so eine hochnäsige Zicke mit Zuckerguß wie sie. Sie sieht überall nur Gutes.
    Wenn man sie beschimpft und beleidigt, findet sie
    Entschuldigungen für einen… und sagt einem, daß man es ja eigentlich gar nicht so meint. Die alte Schachtel, sie pißt auf mich mit ihrem Geseire. Ich hasse solche Leute. Ich hasse dich, wenn du Leute in Schutz nimmst, von denen du gar nichts weißt…«
    Tony Bring unternahm die üblichen Bemühungen, sich im
    Zaum zu halten. Sie redete immer so, wenn sie aufgebracht war. Die alte Frau hatte recht: Sie meinte es nicht so. Hildred war gut. Sie war ein Engel, aber sie fühlte sich wohler, wenn die Leute sie für eine Dämonin hielten. Sie war pervers, das war es.
    »Ich finde, du solltest nicht mehr herkommen.« Hildred sprach jetzt ruhiger. »Wirklich, Tony, ich finde, du solltest das nicht tun. Finde ich wirklich.«
    Er erstarrte. »Ja, ich weiß, das klingt merkwürdig«, fuhr sie fort, »aber du solltest nicht versuchen, dir Gründe für das, was ich sage, auszudenken. Vertrau mir, ich weiß schon, was ich tue.«
    Ein ängstlicher Blick stahl sich in seine Augen. Hildred war verärgert. Er nahm immer alles so ernst.

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