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Verrückte Lust

Verrückte Lust

Titel: Verrückte Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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Doch sogleich wurde sie viel einfühlsamer, und ihre Stimme klang noch weicher als zuvor.
    »Das ist alles so dumm«, sagte sie. »Ich möchte nicht, daß du herkommst, Tony. Du gehörst nicht hierhin. Es ist ja auch nicht für lange. Du wirst schon sehen… Ich hab einen Plan…«
    Sie sah ihn scharf an. »Hörst du mir zu?«
    »Ich höre dir zu«, sagte er. Sie hatte Pläne… Schlingen…
    Fallen. Alles von Anfang an verdreht. Höhepunkt auf
    Höhepunkt. Bedeutungslos… bedeutungslos. Bruchstücke,
    willkürlich aneinandergereiht. Schlechte Träume. »Ja, ich höre dir zu.«
    Er begann heftiger zu träumen – ihre Worte im Gleichklang mit seinen Gedanken. Es waren Halbgedanken, sie quollen in einem larvalen Strom hervor, der sich über die Erde und durch die Wasser unter der Erde wälzte. Weil er blind war und nur eine männliche Klugheit besaß, weil er sich demütig mit der Wahrheit begnügte und kein Vertrauen in Hildreds Schliche hatte, weil er im Morgen nur den schmutzigen Abfall des Gestern sehen konnte… weil seinem männlichen Verständnis so viele Dinge fremd waren, erschienen ihm die Worte, die sie sich aus ihrer Brust riß, belastet mit Schmerz und Bitterkeit.
    Schließlich sagte er mit einer Stimme, aus der alle
    Männlichkeit verschwunden zu sein schien: »Aber bist du nicht wenigstens ein kleines bißchen froh, daß ich gekommen bin?«
    »Das steht hier nicht zur Debatte«, sagte sie Ihre Worte trafen ihn wie ein Hammerschlag. Als hätte er am Kopf einer langen Treppe gestanden, als hätte sie ihn mit aller Kraft gestoßen und dann hilflos und benommen liegengelassen, mit dem Rauschen von Fledermausflügeln in den Ohren.
    Jemand stand neben ihnen, direkt neben dem Tisch. Es schien ihm, als hätte diese Person schon ewig dort gestanden.
    »Ach, du bist es!« rief Hildred und sah aus dem Augenwinkel auf. Und sogleich wurde sie verwirrt. »Tony«, sagte sie, »das ist meine Freundin… Das ist… Vanya.«
    Später, als ihm die wahre Bedeutung dieser Szene bewußt geworden war, versuchte Tony Bring immer wieder, die
    Details dieses Gesprächs, das wie ein Blick in eine bis dahin unbekannte Welt gewesen war, zu rekonstruieren. Doch alles, an was er sich erinnern konnte, war der Eindruck eines Gesichtes – eines Gesichtes, das er nie vergessen würde und das sich so dicht über seines beugte, daß die Einzelheiten verschwammen, und das einzige, an das er sich deutlich erinnern konnte, war ein Bild seiner selbst: Er wurde
    zusammengepreßt, bis er nur noch so groß wie eine Träne war.
    Von nun an hieß es Vanya hier und Vanya dort. Gewaltige Wortkaskaden von Hildred, deren Seele den Körper verlassen hatte und in fernen und himmlischen Regionen schwebte. Von Vanya Schweigen, ohrenbetäubendes Schweigen.
    Das, dachte er, ist also die »Graf Bruga«-Frau, die Schöpferin dieser spindeldürren Puppe mit dem eingesunkenen, schmierig grinsenden Gesicht, die ihn Tag und Nacht wie ein
    Straßenganove angrinste. Nun hatte er also Gelegenheit, sie sich genau anzusehen… Sie war weder verrückt noch geistig gesund, weder alt noch jung. Sie war schön, doch es war eher eine natürliche Schönheit als die Schönheit einer
    Persönlichkeit. Sie war wie ein ruhiges Meer bei
    Sonnenaufgang. Sie fragte nicht, und sie antwortete nicht.
    Auch bei ihr gab es Widersprüche. Ein Kopf von da Vinci auf dem Körper eines Dragoners; ruhige, leuchtende Augen, die hinter zerrissenen Schleiern glommen. Er sah sie forschend an, als könnte er die Kokons, die sich unablässig in ihren Augen bildeten, herunterreißen. Eine vitale, hypnotische Ruhe. Das Starren eines Mediums, und die Stimme eines Mediums. Ihr weißer Hals war ein wenig zu lang und zitterte, wenn sie sprach.
    Diese Begegnung, die ihn aushöhlte wie eine Ouvertüre, die nie zu enden drohte. Sein Körper war nicht mehr ein mit Blut und Muskeln, Gefühlen und Vorstellungen ausgestatteter Organismus, sondern eine leere Hülle, durch die der Wind pfiff. Seltsam war ihre Sprache, wie die Flucht eines Wals, der von der Harpune getroffen ist und, bebend vor Wut und
    Schmerz, in die schäumende See hinuntertaucht und eine blutige Spur durch das Wasser zieht.
    Er gab alle Bemühungen, ihnen zu folgen, auf. Sein Blick verharrte auf Vanyas langem Gänsehals, der wie eine Leier bebte. So weich und glatt, ihr Hals. Weich wie Lamahaar.
    Wenn man am Fuß der Treppe lag, hilflos und benommen, mit dem Rauschen von Fledermausflügeln in den Ohren, und einen solchen Hals zum Festhalten

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