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Verrückte Lust

Verrückte Lust

Titel: Verrückte Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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hatte, zum Anklammern, zum Anbeten… Wenn man plötzlich aufsprang, mit Rhododendren im Mund, und einem der Mund bis zu den Ohren aufgerissen wurde, wenn man eine Orgel in den Eingeweiden hatte und die Arme eines Gorillas, Arme, die gotteslästerlich, ekstatisch zudrücken konnten, wenn man die ganze Finsternis, die ganze Nacht hatte, um sich darin hin und her zu wälzen und zu fluchen und zu kotzen, und neben einem ein Hals war, der wie eine Leier bebte, ein Hals, der so weich, so glatt war, ein Hals, mit Augen besetzt, welche die Schleier der Zukunft
    durchdrangen und eine unbekannte, eine obszöne Sprache sprachen, wenn…

    ZWEITER TEIL

    1

    Mit jedem Tag wurden die Schatten länger, und die Farben wechselten zu Goldbraun und tiefen Rostrottönen. Hier und da hoben sich Gegenstände mit skeletthafter Kraßheit vom
    stumpfen Horizont ab: kahle Eichen bohrten ihre
    lakritzschwarzen Zweige in das graue Pigment des Himmels, schwache junge Bäume standen gebeugt wie mit zuviel Wissen beladene Gelehrte.
    Die Tage vergingen, und ein Dunst legte sich über die Stadt; der Wind fuhr durch die tiefen Schluchten und wirbelte den Staub und Abfall der Straßen in erstickenden Spiralen auf. Die Wolkenkratzer erhoben sich düster glänzend aus dem grauen und rostroten Dunst. Doch auf den Friedhöfen war Grün, das Gras der Auferstehung und des ewigen Lebens. Und auch die Flüsse waren grün, so grün wie Galle.
    Jeder Tag brachte neue Gesichter ins »Caravan«:
    Börsenmakler, die von der Riviera zurück waren, Künstler, die im Hinterland ein bißchen gemalt hatten, Schauspielerinnen, die fette Verträge abgeschlossen hatten, Einkäufer der feineren Kaufhäuser, die auf ihren Reisen im Ausland ein paar Brocken Französisch oder Italienisch aufgeschnappt hatten. Sie alle machten sich daran, sich für den Winter einzugraben und das hektische, ungesunde Leben wieder aufzunehmen, das sie angeblich so befreiend und erfrischend fanden.
    Vanya lebte praktisch im »Caravan«. Wenn Hildred
    vormittags dort auftauchte, wartete Vanya bereits auf sie, um mit ihr zu frühstücken. Jeden Tag begrüßten sie sich, als hätten sie sich jahrelang nicht gesehen.
    Doch seltsam – immer wenn Tony Bring hereinschaute,
    waren sie nicht da. Es war immer dieselbe Geschichte: Hildred war irgendwohin gegangen, mit ihrer Freundin. Kein Wort wurde über diese Besuche verloren, bis es eines Tages, als Hildred gerade das Haus verlassen wollte, zu einem jener Wortwechsel kam, die jetzt immer häufiger wurden. Sie warf ihm vor, ihr nachzuspionieren. Sie wisse sehr wohl, wie oft er im »Caravan« auftauche, was für Fragen er stelle, welche gemeinen Andeutungen er mache. Sie habe ihn selbst hin und wieder dort gesehen, wie er seine Nase am Fenster
    plattgedrückt habe. Der Himmel mochte wissen, wohin er ihr sonst noch nachgeschlichen sei.
    Schließlich fiel der Name Vanya. Vanya… Ja, sie war es, mit der dieser ganze Ärger angefangen hatte.
    »Du bist eifersüchtig auf sie, das ist es!« rief Hildred.
    »Eifersüchtig auf die?« Einen Augenblick lang suchte er vergeblich nach einem Wort, das seine ganze Verachtung zum Ausdruck bringen konnte. Eine schöne Freundin war das. Sie versuchte doch bloß, sich hier und da mit einer Prise von dem weißen Pulver Eintritt zu verschaffen, und hing mit Huren und syphilitischen Dichtern herum. »Soll ich die etwa ernst nehmen?« schrie er. »Du sagst, daß sie ein Genie ist. Was hat sie denn schon Geniales vorzuweisen? Ich meine, außer ihren schmutzigen Fingernägeln?«
    Hildred hörte ihm mit eisigem Schweigen zu. Sie malte ihre Lippen an. Ihr Gesicht hatte einen wunderschönen,
    leichenartigen Schimmer; sie betrachtete sich im Spiegel und berauschte sich an ihrer eigenen Schönheit – wie ein
    Beerdigungsunternehmer, der auf einmal merkt, was für eine schöne Leiche man ihm gebracht hat.
    Tony Bring war wütend. »Hör auf damit!« schrie er. »Merkst du eigentlich nicht, wie du aussiehst?«
    Sie musterte sich gelassen im Spiegel. »Ich nehme an, du meinst, daß ich wie eine Hure aussehe«, antwortete sie freundlich.
    Schließlich war sie fertig. An der Tür, die Hand auf dem Griff, hielt sie inne.
    »Ich wollte, du würdest noch nicht gehen«, sagte er. »Ich will dir noch etwas sagen…«
    »Ich dachte, du wärst fertig.«
    Er lehnte sich an die Tür und drückte Hildred an sich. Er küßte sie auf den Mund, die Wangen, die Augen, auf die Stelle an ihrem Hals, wo die Ader leicht pochte. Er hatte einen fettigen

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