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Verschärftes Verhör

Verschärftes Verhör

Titel: Verschärftes Verhör Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny Siler
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verschaffen.
    »Ich muss so bald wie möglich weg«, flehte Jamal. Dann appellierte er an Abdullahs Liebe zur Macht. »Ich bin in Schwierigkeiten, Papa. Ich brauche deine Hilfe.«
    Abdullah lächelte, nicht aus Mitgefühl, sondern aus Egoismus. Es war der Blick eines Menschen, der eine günstige Gelegenheit erkannte. »Natürlich werde ich dir helfen«, flötete er. »Aber du musst mir ein bisschen Zeit lassen. So etwas lässt sich nicht auf die Schnelle arrangieren.«
    »Ja, natürlich«, antwortete Jamal.

12
Afghanistan 2002
    »Wie gerät ein fünfzehnjähriger marokkanischer Junge in die Mühlen des afghanischen Dschihad?«, fragte der Kommandant der Militärpolizei und rieb sich mit den Handballen die Augen. Er hatte sich im Sessel zurückgelehnt. Wie Kat und alle anderen war auch er seit fast zwei Tagen auf den Beinen, und die Erschöpfung stand ihm ins Gesicht geschrieben.
    An der Wand hinter dem Schreibtisch hing ein großes Foto des brennenden World Trade Centers mit der Aufschrift: NYFD – WIR WERDEN EUCH NIE VERGESSEN. Das gleiche Plakat hing am Eingang von Kats Zelt und ein weiteres an der Tür des Kasinos. Man konnte sie im PX-Laden kaufen, genau wie Schlüsselanhänger der Operation Enduring Freedom, T-Shirts der Spezialkräfte und handgeknüpfte afghanische Teppiche, Videospiele wie Soldier of Fortune, amerikanisches Junkfood und feuchtes Toilettenpapier.
    »Das versuchen wir noch herauszufinden, Sir«, gestand Kat. »Er war mit zwei älteren Männern unterwegs. Er behauptet, er habe sich mit ihnen in einer Pension in Islamabad getroffen. Er hat es nicht offen ausgesprochen, aber es klang, als hätte er –«, Kat suchte nach der richtigen Formulierung, »– eine Beziehung zum Besitzer. Als die beiden Männer ihm anboten, ihn mitzunehmen, hat er die Gelegenheit ergriffen.«
    Der Kommandant der Militärpolizei warf einen Blick auf ihr Bein. Kat bemerkte, dass sie mit dem Stiefelabsatz ungeduldig auf den Linoleumboden geklopft hatte.
    »Haben Sie es eilig, Sergeant?«
    »Ich dachte nur an mein Bett, Sir«, log Kat. »In vier Stunden muss ich wieder auf meinem Posten sein.«
    In Wirklichkeit war ihr klar, dass sie keinen Schlaf bekommen würde. In der Aufnahmestation hatte sie nicht mit Colin reden können, aber von einem Kollegen erfahren, dass das SBS-Team noch zwei Tage auf dem Stützpunkt bleiben würde. Sie hatte vor, rasch in ihr Zelt in Viper City zurückzukehren, zu duschen und sich umzuziehen und dann in den Bereich der Briten hinüberzugehen.
    »Haben Sie etwas aus seinen Reisegefährten herausbekommen?«
    »Nein, Sir. Sie wurden weggebracht, Sir.«
    Der Kommandant der Militärpolizei nickte verständnisvoll. Wenn der zivile Geheimdienst einen Gefangenen für nützlich befand, gab es nichts mehr für sie zu tun. Die Männer waren am frühen Morgen aus der Aufnahmestation verschwunden und würden vermutlich nicht zurückkehren. »Und was war vor Pakistan?«
    »Er behauptet, er habe vor etwa einem Jahr Marokko allein verlassen. Er habe sich auf der Fähre von Tanger nach Spanien in einem Container-Lkw versteckt. Diese Überfahrt ist ziemlich gefährlich, Sir.« Kat hielt inne, als sie sich an ihre eigene Reise über die Meerenge und den kurzen Aufenthalt in Tanger erinnerte.
    »Er blieb einige Monate in Algeciras. Hatte dort auch eine Beziehung. Die gleiche Situation wie in Islamabad. Schließlich fand er Kontakt zu einigen älteren Marokkanern. Pseudo-Dschihadisten, wie es sich anhört. Sie haben ihn nach Pakistan gebracht.«
    »Und das glauben Sie ihm?«
    Kat zuckte die Achseln. »Alles, was er uns über die Pension erzählt hat, stimmt mit unseren Erkenntnissen überein. Sie gilt als beliebter Zwischenstopp für Dschihad-Kämpfer. Daher habe ich keinen Grund, ihm nicht zu glauben. Allerdings ist der Junge kein Dschihadist, falls Sie das meinen, Sir.«
    »Familie?«
    »Nein, Sir. Er sagt, er sei in einem Waisenhaus in Casablanca aufgewachsen. Er erzählte, der König habe seine Mutter holen lassen, weil er mit ihr zusammenleben wollte. Vermutlich tut es weniger weh als die Wahrheit.« Wieder hielt Kat inne und dachte an das elende Leben des Jungen. »Er hat lange für sich allein sorgen müssen, Sir. Mit allen Mitteln.«
    Sie bemerkte, wie der Kommandant der Militärpolizei spontan zum Foto seiner kleinen Tochter schaute, das auf dem Schreibtisch stand. Irgendwie tat er ihr leid. Vermutlich war er in einem anderen Leben ein anständiger Mensch, ein guter Ehemann und Vater. Hier aber konnte

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