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Verschärftes Verhör

Verschärftes Verhör

Titel: Verschärftes Verhör Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny Siler
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jede noch so gutgemeinte Entscheidung ungeahnte Konsequenzen haben.
    Das internationale Recht schrieb vor, alle Gefangenen unter sechzehn Jahren freizulassen. Wäre der Junge Afghane gewesen, hätten sie ihn zurück in sein Heimatdorf gebracht, doch in diesem Fall war eine Freilassung unmöglich. Ohne Geld und ohne Heimat hatte er in den gefährlichen Bergen kaum Überlebenschancen. Und selbst wenn er überlebte, sah er sich einer trostlosen Zukunft gegenüber.
    »Sir?«, fragte Kat. Eine Entscheidung musste getroffen werden, und zwar nicht von ihr. »Ich glaube, wir sind ihm verpflichtet, Sir.«
    »Hat er schon eine Nummer?«
    »Wir haben ihn als PUC ins System eingegeben.«
    Dies war ein Trick, um die Militärbürokratie zu täuschen. Gefangene, die als »Personen unter US-Kontrolle« deklariert wurden, durften bis zu zwei Wochen in der Einrichtung bleiben, ohne im offiziellen System erfasst zu werden.
    »Gut, das verschafft uns ein bisschen Zeit. Sie können wegtreten, Sergeant.«
    Kat stand auf und salutierte, was der Kommandant der Militärpolizei mit einer halbherzigen Geste quittierte.
    »Und holen Sie ihn um Gottes willen aus den Käfigen heraus«, fügte er hinzu.
Madrid
    Wir sind ihm verpflichtet, dachte Kat, als sie den Schlüssel an der Rezeption abholte und durch das weitläufige Foyer des Hotels ging. Colin hatte darüber gelacht und gesagt: An diesem Ort sind wir nur uns und unseren Freunden verpflichtet. Sie war über diese herzlose Bemerkung damals wütend gewesen und nach wie vor anderer Meinung.
    Sie war nicht so naiv zu glauben, dass es nur um Jamals Interessen ging; offenbar wollte Morrow ihn nicht aus reiner Menschenfreundlichkeit finden. Allerdings zweifelte sie auch nicht daran, dass der Junge in Schwierigkeiten steckte. Jamal lebte gefährlich in Madrid, das wusste sie, obwohl sie sich selbst zu beschwichtigen versuchte. Sollte seine Verbindung zu den Amerikanern aufgeflogen sein, wie Morrow angedeutet hatte, war Jamals Leben sicherlich in Gefahr.
    Ja, sie war Jamal damals verpflichtet gewesen und war es noch heute. Immerhin hatte sie ihn in diese Lage gebracht. Daher erschien es nur gerecht, dass sie ihn auch daraus befreite. Falls sie ihn fand, konnte sie ihn sogar nach Amerika bringen, wie sie es ursprünglich versprochen hatte. Mit Morrows Hilfe wäre das sicher möglich.
    Außerdem hatte man ihr die Entscheidung abgenommen, dachte sie, als sie durch den langen Flur ging und die Zimmernummern las. Ihr Einsatzbefehl war klar und deutlich gewesen.
Kalifornien 1990
    Kurtz hatte sich um ein Jahr vertan; Kat war nicht achtzehn, sondern neunzehn. Als er sie am Morgen nach der Willkommensparty im Arabischkurs traf, setzte er sich demonstrativ neben sie.
    Von jener seltsamen Mischung aus Unbeholfenheit und Anmut, die ihn auf dem Volleyballplatz so fasziniert hatte, war hier nichts zu spüren. Das Arabischstudium am Defense Language Institute in Monterey war nicht nur berüchtigt schwer, sondern hatte auch die geringste Studierendenzahl. Nur die Begabtesten wurden diesem Fach zugeteilt, und selbst unter diesen stach Kat hervor.
    Als Sohn einer deutschen Kriegsbraut und eines amerikanischen GI war Kurtz zweisprachig aufgewachsen und ausgesprochen sprachbegabt. Allerdings erkannte er bald, dass Kat nicht nur begabt war, sondern ein absolutes Ausnahmetalent. Kurtz war hingerissen und neidisch zugleich.
    Er hatte fast ein ganzes Jahr gebraucht, bis er einen Annäherungsversuch wagte. Elf Monate lang waren sie nur zu mehreren ausgegangen oder hatten sich spätabends zum Lernen getroffen. Hunderte gemeinsamer Mahlzeiten in der Mensa. Doch als er sie eines Abends, gestärkt mit billigem Bier, vor der Tür ihrer Unterkunft küssen wollte, hatte sie ihn ausgelacht.
Madrid
    Sie hatte gelacht, dachte Kurtz verbittert. Er sah wieder Kats Gesicht vor sich, die Mischung aus Mitleid und Abscheu, und wie sie instinktiv zurückgewichen war. Sie amüsierte sich, weil sie es anmaßend fand, dass er überhaupt auf einen solchen Gedanken gekommen war. Zu spät hatte sie sich wieder gefasst und etwas von Freundschaft gemurmelt.
    Die Tür ging auf, und Kurtz sah, wie Kat in den engen Vorraum trat. Sie hielt inne, damit sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnen konnten. Er hatte mit voller Absicht die Vorhänge geschlossen und das Licht im Zimmer ausgeschaltet. So würde sie einen Augenblick brauchen, bis sie ihn im Dunkeln erkannte, während er sie genau betrachten konnte.
    Äußerlich hatte sie sich in den zwei

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