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Verschärftes Verhör

Verschärftes Verhör

Titel: Verschärftes Verhör Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny Siler
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Jahren, seit sie Bagram verlassen hatte, kaum verändert. Natürlich war sie sauberer und nicht so sonnengebräunt, wie es auf der Hochebene von Shomali üblich war. Ansonsten aber sah sie genauso aus wie früher, der Körper schlank und durchtrainiert, das Haar militärisch kurz. Sie trug eine einfache Baumwollbluse und Jeans und hatte eine kleine Stofftasche dabei.
    Im Herzen war sie eine Soldatin, dachte Kurtz, und sah die Welt mit den Augen einer Soldatin. Getrieben von dem altmodischen Pflichtgefühl, das sie schon immer ausgezeichnet hatte. Andererseits hatte sie der Armee alles zu verdanken, sogar ihr Selbstwertgefühl, so dass diese Loyalität nicht überraschend war.
    Sie blinzelte, schaute sich im Zimmer um und entdeckte Kurtz.
    »Hallo, Kat.« Er beugte sich im Sessel vor und sah, wie sich ihr Mienenspiel veränderte. »Hast du mich nicht erwartet?«
    »Nein«, gab sie zu und schloss die Tür hinter sich. Sie konnte ihr Unbehagen nicht verbergen.
    »Wie war der Flug?«
    »Bestens.«
    »Rote Augen«, bemerkte Kurtz. »Ich kann im Flugzeug auch nicht schlafen.«
    »Es ging.«
    »Ich kann den Zimmerservice rufen, wenn du möchtest.« Er schaltete die Schreibtischlampe ein, die die Kanten und Winkel des Raumes erhellte und die Entfernung zwischen ihnen betonte. »Du hast sicher Hunger.«
    »Eigentlich nicht.«
    »Wenigstens Kaffee.«
    »Nein, danke.«
    Kurtz deutete auf den Stuhl gegenüber seinem. Ob sie von Colin wusste? »Ich nehme an, du hattest Gelegenheit, Jamals Akte noch einmal zu lesen.«
    Kat stellte die Tasche ab, blieb aber stehen. Sie wollte es ihm möglichst unangenehm machen. »Ja, flüchtig.«
    »Und? Hast du eine Idee, wo er sein könnte?«
    »Es wäre hilfreich, wenn ich wüsste, vor wem er weggelaufen ist.«
    Erwartete sie wirklich eine Antwort auf diese Frage? Kurtz ignorierte die Bemerkung. »Man scheint allgemein der Ansicht zu sein, dass er nach Hause will. Siehst du das genauso?«
    Kat zuckte die Achseln. »Wo sollte er sonst hin?«
    »Dazu muss er zuerst über die Meerenge. Glaubst du wirklich, er wird es noch einmal riskieren?«
    »Das hängt wohl davon ab, wie verzweifelt er ist. Vielleicht ist es auch gar nicht so gefährlich. Richtung Süden ist das Angebot viel größer als die Nachfrage. Wenn er weiß, wen er fragen muss, wird er vermutlich auch ein Boot finden, das ihn mitnimmt.«
    »Und?«
    »Er hat mehrfach einen Mann in Algeciras erwähnt, einen Marokkaner. Er heißt Abdullah und betreibt eine Art Pension für Neuankömmlinge. Jamal hat dort gewohnt, als er das erste Mal in Spanien war. Nicht gerade ein karitatives Unternehmen, falls du verstehst, was ich meine. An Jamals Stelle würde ich zuerst dorthin gehen.«
    Kurtz warf einen Blick auf die Uhr. Der Morgen war schon zur Hälfte vorüber, doch wenn sie den Schnellzug nahmen, könnten sie nachmittags in Algeciras sein.
Virginia
    Susan hatte eine besonders schlimme Nacht hinter sich. Es wurde von Nacht zu Nacht unerträglicher. In sieben Stunden war sie fünfmal aufgewacht, und ihre heiseren, gequälten Schreie drangen durch die Dielenbretter in Morrows Zimmer. Jedes Mal hatte er gehört, wie die Russin zu ihr ging. Sie taumelte durch den Flur wie eine schläfrige Mutter, die ihr Baby stillen muss.
    Der Anfang vom Ende, dachte Morrow. Er konnte hören, wie Marina sich bemühte, Susan zu beruhigen. Er hatte viele Menschen sterben sehen, aber nie auf diese Weise.
    Versprich mir, dass du tust, was getan werden muss, hatte Susan an dem Tag, als sie die Diagnose bekommen hatte, abends im Bett zu ihm gesagt. Morrow hatte geglaubt, sie schliefe schon, und war zusammengeschreckt, als ihre Stimme in der Dunkelheit erklang. Du darfst deiner Schwäche nicht nachgeben. Nicht dabei, Richard. Er hatte keine Antwort darauf gefunden.
    In der folgenden Woche hatte sie den Pflegedienst angerufen. Eine Woche später zog Marina in das kleine Gästezimmer. Susans persönlicher Engel der Gnade und des Todes und eine ständige Mahnung, dass Morrow sie im Stich gelassen hatte.
    Er fragte sich oft, was für ein Abkommen die beiden Frauen getroffen haben mochten, denn er kannte Susan gut genug, um zu wissen, dass es so etwas gab. Vielleicht nichts Schriftliches, aber dennoch ein Abkommen: wie viel Leiden sie zu ertragen bereit war. Die Grenze war fast erreicht.
    Das Telefon auf dem Nachttisch klingelte und riss ihn aus seinen Betrachtungen. Noch nicht mal sieben, dachte er, als er nach dem Hörer tastete. Eine Uhrzeit, die ausschließlich schlechten

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