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Verschärftes Verhör

Verschärftes Verhör

Titel: Verschärftes Verhör Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny Siler
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hatte Kat gedacht. Jamal zögerte, wusste gar nicht, wo er anfangen sollte. Auf dem Tisch lag ein Sammelsurium aus Knabberzeug: getrocknetes Rindfleisch, eine Rolle Kartoffelchips von Pringles, verschiedene Schokoriegel, Kekse mit Blaubeerfüllung und eine Dose Mountain-Dew-Limonade. Es war nicht gerade das, was das Rote Kreuz unter einer ausgewogenen Mahlzeit verstand, und Kat fragte sich, ob sie damit gegen irgendwelche ethischen Richtlinien verstieß.
    Jamal öffnete die rote Pringles-Rolle und schüttelte einige Chips heraus. »So perfekt!«, rief er verblüfft, als er die vollkommen ebenmäßigen Chips erblickte. Er wollte mit seinem Englisch angeben, während Kat beharrlich versuchte, auf Arabisch zu kommunizieren.
    Sie ließ ihm einen Moment, um die Wunder moderner Nahrungsmittelproduktion zu bestaunen. »Konntest du schlafen?«
    Jamal nickte begeistert. »Es ist sehr gut hier.«
    Es war ihr gelungen, im Obergeschoss des Gefängnisses ein Plätzchen für ihn zu finden. Sie hatte ihn in einer der improvisierten Zellen für Gefangene untergebracht, die zu labil oder zu wichtig waren, um sie zusammen mit den anderen unterzubringen. Es gab nur eine Pritsche und eine nackte Glühbirne an der Decke, doch verglichen mit den Käfigen war es das Paradies. Jamal wusste, dass er großes Glück gehabt hatte.
    »Ich möchte mit dir über deine Eltern sprechen«, sagte Kat.
    Jamal legte die Chips weg und griff zu der Schachtel mit den Blaubeerkeksen. »Ist das süß?«
    »Ja.« Kat gab nicht auf. »Deine Eltern, Jamal. Deine Mutter ist gestorben, als du ein Baby warst?«
    Er blickte hoch. »Ich habe dir schon gesagt, sie ist nicht tot.«
    »Natürlich. Sie lebt ja beim König.«
    »Das stimmt«, beharrte Jamal, der ihre Skepsis bemerkte. »Das hat mir die Köchin erzählt.«
    Kat nickte gutmütig. »Und dein Vater?«
    Der Junge legte die ungeöffnete Schachtel weg und nahm sich ein Snickers. »Ich glaube, das ist besser.«
    »Süßer«, bemerkte Kat.
    »Es ist Schokolade, oder?«
    »Ja.«
    Jamal lächelte. »Ich mag Schokolade. Magst du auch Schokolade, Mrs Kat?«
    »Ja«, erwiderte Kat. »Sehr sogar. Und ich heiße nur Kat, okay? Ohne Mrs.«
    »Warum nicht?«
    »So nennt man nur verheiratete Frauen.«
    »Bist du nicht verheiratet?«
    »Nein.«
    »Ist dein Mann gestorben?«
    Kat schüttelte den Kopf. »Ich habe keinen Mann.«
    »Oh.« Jamals Augen weiteten sich, als es ihm dämmerte. »Du bist Soldat, ja? Wie die Frauen im Lager. Mr Hamid hat mir von den Frauensoldaten erzählt.«
    »Wir alle hier sind Soldaten.«
    »Im Lager in Herat auch. Das sagt Mr Hamid.«
    Kat war verwirrt. »Herat? Wolltest du dahin?«
    Jamal nickte. »Er sagte, die Frauen hätten dort das Sagen, und ich müsste mich daran gewöhnen.«
    »Wie meinst du das, das Sagen?«, erkundigte sich Kat. Sicher war es ein Scherz von Bagheri gewesen, weil er von den Männern dort nicht viel hielt.
    »Sie haben bei allem das Sagen«, antwortete der Junge. »Er sagte, sie seien Soldaten wie du, sie hätten Waffen und würden sogar Leute umbringen.«
    »Amerikanische Frauen?«, wollte Kat wissen.
    »Nein, muslimische Frauen.«
    Kat schüttelte den Kopf angesichts der Leichtgläubigkeit des Jungen. »Nein, Jamal, das glaube ich nicht. Keine muslimischen Frauen.«
    Jamal zuckte die Achseln, packte den Schokoriegel aus und biss hinein.
    »Jamal?«, fragte sie behutsam, während er aß. »Was hältst du davon, uns zu helfen?« Nun war es heraus.
    Der Junge hörte auf zu kauen und schaute sie an. »Du meinst, wie ein Spion?«
    Er begriff schnell. »Nein, wie ein Freund. Du könntest uns helfen, und wir helfen dir auch.«
    »Wie?«
    »Das weiß ich noch nicht.« Sie hielt inne und wählte ihre Worte sorgfältig. »Es gibt Menschen, die anderen Menschen Böses antun wollen.«
    »Wie bei den Türmen?«
    Er ist clever, dachte Kat. Vielleicht zu clever für das, was Kurtz mit ihm vorhatte. »Ja, genau. Wie bei den Türmen. Du könntest dich für uns umhören. Wenn du erfährst, dass jemand etwas Schlimmes plant, könntest du es uns sagen.«
    Er biss noch einmal in das Snickers und erwog ihren Vorschlag. »Und ihr würdet mir helfen?«
    »Ja. Wir würden dir Geld geben. Und noch andere Sachen. Schokolade.« Herrgott, hatte sie das wirklich gesagt? Würden sie ihm tatsächlich Geld geben? Bestimmt. Es ging nicht anders. Sie erinnerte sich an die beiden kurzen Tage in Tanger, die bettelnden Straßenkinder am Fährhafen. Ja, sagte sie sich, es war besser so. »Man würde sich um

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