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Verschärftes Verhör

Verschärftes Verhör

Titel: Verschärftes Verhör Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny Siler
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Junge schnappte sich das Geld, schaute sie aber vorwurfsvoll an, als wüsste er, wie wenig es ihr bedeutete und dass sie damit nur ihr schlechtes Gewissen beruhigen wollte.
     
    Jamal kauerte hinter einem Stapel Gauloises-Kisten und beobachtete den milchigen Schein der Taschenlampe, den der spanische Zollinspektor über Decke und Wände tanzen ließ. Tief im Herzen wollte er gefunden werden und musste mit aller Gewalt einen Aufschrei unterdrücken.
    Der Lichtstrahl hielt kurz inne, und Jamal erhaschte einen Blick auf eine krakelige arabische Inschrift an der Wand, die einer seiner Vorgänger hinterlassen hatte. Es war der Beginn eines Gebetes für jene, die dem Tod nahe waren. Die Buchstaben waren zu einem schiefen Gekritzel verblichen, das Ersuchen war nahezu blasphemisch, da kein guter Muslim sein eigenes Ende erflehen durfte: »O Allah, erhalte mich am Leben, solange es zu meinem Besten ist, und schenke mir den Tod, wenn es zu meinem Besten ist.«
    Dann war das Licht verschwunden und mit ihm der Inspektor. Jamal hörte, wie die massive Tür des Containers zugeschlagen und der lange stählerne Riegel vorgeschoben wurde.
    Er zog die Knie an die Brust und schloss die Augen, wollte nicht an das Gebet und das Schicksal des Jungen denken, der es an die Wand geschrieben hatte. Bei der ersten Überfahrt hatte er Glück gehabt. Das Kohlendioxid hatte ihn betäubt. Danach hatte er zwar unter starken Kopfschmerzen und Übelkeit gelitten, ansonsten aber keinen Schaden genommen. Dennoch fürchtete er, dass er sein Glück aufgebraucht haben könnte, dass die Dinge diesmal anders laufen würden.
    Als der Motor des Lkw ansprang, drang ihm sofort der Dieselgeruch in die Nase, ein widerlich süßes Aroma, das sich mit dem des Tabaks in den Kisten mischte. Zwei bis drei Stunden, wenn er Glück hatte. Wenn nicht, konnte es Tage dauern, bis die Tür wieder aufging. Mit der Taschenlampe beleuchtete er seine Habseligkeiten: eine dünne Decke und einen großen Wasserbehälter, eine Dose Kekse und einen Plastikeimer, den er als Toilette benutzen wollte. Er hatte sich so gut wie möglich vorbereitet.
    Der Lkw rollte vorwärts, der Boden unter ihm schwankte. Ja, dachte Jamal, als er sich zwang, die Taschenlampe auszuschalten, und gegen die aufsteigende Panik ankämpfte, ab jetzt hatte er sein Schicksal nicht mehr in der Hand.

16
Vietnam 1973
    »Wie ich sehe, haben Sie französische Pralinen besorgt«, hatte Susan bemerkt, als sie Harrys Tüte entdeckte.
    Seit dem Abendessen im Caravelle war fast ein Monat vergangen, und Harry hatte sie zuerst nicht wiedererkannt. Bei Tag wirkte sie inmitten des schäbigen Exilantenflairs der Hotelbar Duc wie ein völlig anderer Mensch, jünger und verletzlicher. Sie trug ein weißes Sonnenkleid mit Lochstickerei und hatte das Haar zu einem mädchenhaften Pferdeschwanz gebunden.
    Sie streckte die Hand aus. »Susan Maxwell. Wir haben uns bei dem furchtbaren Abendessen kennengelernt.«
    »Ja, natürlich. Harry Comfort.« Er schüttelte ihre Hand. Ihr Griff war erstaunlich stark, ein Männergriff. Harry warf einen verlegenen Blick auf die Einkaufstüte. »Es ist nicht so, wie Sie glauben. Ich meine, ich habe nur ein Dankeschön für meine Haushälterin gekauft.«
    Susan wirkte belustigt. »Und wie gefällt Ihnen Nha Trang? Haben Sie sich schon oft mit Ihrem Celestron die Sterne angeschaut?«
    Bevor Harry antworten konnte, näherte sich der vietnamesische Barkeeper, und er bestellte einen Wodka Martini. Der Mann wartete kurz und deutete dann auf Susan. »Und für Mademoiselle?« Die Frage klang höflich und doch herablassend, er konnte seine Verachtung für Harrys mangelnde Galanterie kaum verbergen.
    Harry hörte die trunkene Stimme seines Vaters, der ihm einen guten Rat gab: Immer für die Lady mitbestellen, mein Sohn. »Sie nimmt noch mal das Gleiche«, platzte er mit einem Blick auf Susans leeres Martiniglas heraus.
    Der Barkeeper schaute sie fragend an.
    »Einen Gibson, bitte«, erwiderte sie.
    »Tut mir leid«, sagte Harry.
    Susan tat seine Entschuldigung ab. »Ehrlich gesagt, bestelle ich lieber selbst. Bei dieser ganzen Ritterlichkeit komme ich mir manchmal wie ein dummes Kind vor.«
    Harry begriff, dass sie betrunken war. Mehr noch, sie sah aus, als hätte sie geweint. Die Agency nutzte das Hotel Duc als vorübergehendes Hauptquartier in Saigon, und sie konnte aus allen möglichen Gründen dort sein, doch hatte er den Eindruck, dass sie auf jemanden wartete. Morrow, dachte er.
    Sie nahm eine Zigarette

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