Verschärftes Verhör

aus dem Päckchen, das auf der Theke lag, und Harry gab ihr beflissen Feuer.
    »Also, zu Nha Trang«, sagte sie. »Sie haben meine Frage nicht beantwortet.«
    Harry lächelte, um der Situation die Spannung zu nehmen. »Ich musste Geheimhaltung schwören. Bitte erzählen Sie es nicht weiter, aber da oben wird ohne Ende gefeiert. Freitags Shuffleboard im tschechischen Konsulat. Samstags Bridge mit den Polen. Neuerdings laden die Sowjets sonntags zur Bottle Party ein. Der reinste Vergnügungspark.«
    Susan legte den Kopf in den Nacken und lachte los. Ein bisschen übertrieben, aber Harry empfand dennoch einen gewissen Triumph. »Sie sollten mal hinkommen«, fuhr er fort.
    »Normalerweise lassen wir das Gesindel aus Saigon nicht rein, aber ich könnte für Sie bürgen.« Die Einladung war nicht ganz ernst gemeint, doch sah er, wie sich ihre Miene veränderte. Sie schien eine Chance zu wittern.
    »Zeigen Sie mir die Sterne?«
    »Wenn Sie möchten.«
    Der Barkeeper brachte ihre Getränke, und Susan nahm einen tiefen, dankbaren Zug. Ja, dachte Harry, sie hatte wirklich geweint. Auf beiden Wangen war das Make-up ein bisschen verschmiert. Wie lange mochte sie schon gewartet haben? Zwei Drinks? Drei? Oder noch mehr? Sie schien eine Menge zu vertragen und hatte vermutlich schon eine ganze Weile hier gesessen.
    »Finden Sie es nicht beunruhigend?«, fragte sie. »Ich meine, das Universum, die Unendlichkeit und das alles.«
    Harry zuckte die Achseln. »Eigentlich nicht. Sie?«
    »Soll ich Ihnen mal was sagen?« Sie drehte sich auf ihrem Hocker um, wobei sie Harrys Bein streifte. »Die Vorstellung des Weltraums macht mir Angst. Ich versuche, lieber nicht darüber nachzudenken.«
    Harry spürte durch sein Hosenbein ihre warme Haut. Er brachte es nicht über sich, wegzurücken. »Eigentlich empfinde ich es als tröstlich, zu wissen, wie unbedeutend ich bin. Wir nehmen uns alle viel zu wichtig.«
    Susan stellte das Glas ab und schaute ihn eindringlich an. »Haben Sie ein Zimmer?«
    Harry nickte.
    Susan schob ihr Bein noch näher heran und legte ihm die Hand aufs Knie. »Zeigen Sie es mir?«
    Harry war verwirrt. »Was zeigen?«, fragte er dümmlich.
    »Dein Zimmer, Harry. Ich möchte dein Zimmer sehen.«

 
Hawaii
    Es war seine Entscheidung gewesen, dachte Harry, als er auf den Parkplatz von Kona Pack and Mail fuhr. An jenem Nachmittag im Duc hatte er genau gewusst, worauf er sich einließ, welche Rolle er in der Affäre von Susan und Morrow spielen würde. Er wusste, was sie von ihm wollte, und hatte dennoch mitgemacht.
    Der Sex war hastig und enttäuschend gewesen. Ein Akt, den man ertragen musste, hatte Harry gedacht, als er Susans verbissenes Gesicht betrachtete. Ihre kleinen Brüste hüpften auf und ab, während er sich mit dem ungeschickten Eifer eines Schuljungen in ihr bewegte.
    Als er später ihr schlafendes Gesicht betrachtete, schämte er sich. Das unbarmherzige Nachmittagslicht entblößte die ganze schäbige Umgebung, die ramponierten Wände und verschimmelten Vorhänge. Die alten Flecken auf den verschlissenen Laken, die von früheren Stelldicheins zeugten.
    Harry hatte etwas von einer Besprechung in der Zentrale auf einen Zettel gekritzelt, den er auf dem Nachttisch hinterließ, ein gnädiger Ausweg für sie beide. Dann hatte er sich von einer Fahrradrikscha in eine Kneipe nach Pham Ngu Lao bringen lassen und sich den Rest des Abends gefragt, wie sie einander in Zukunft aus dem Weg gehen sollten. Als er am frühen Morgen in sein Zimmer zurückkehrte, war Susan zu seiner Erleichterung verschwunden.
    Harry stellte den Motor ab und warf einen Blick in den Rückspiegel. Der weiße Escort, der ihm unterwegs schon aufgefallen war, parkte gerade auf der anderen Straßenseite ein. Im Auto saßen zwei Männer. Zu bullig für die CIA und ganz sicher nicht diskret genug. Ihm kam der Gedanke, dass sie vermutlich gesehen werden wollten und vor allem als Warnung dienten. So wollte Morrow ihm zeigen, dass es für alle das Beste sei, wenn er sein Wissen über Jamal mit ihm teilte.
    Er ist wirklich in Not, hörte er Morrow sagen und fragte sich, ob Dick nicht um seinen Arsch fürchtete. Der Junge war entbehrlich, er lohnte die Wagenmiete und die beiden Gorillas nicht.
    Harry stieg aus und winkte den Männern freundlich zu. Es konnte nicht schaden, sie wissen zu lassen, dass ihr Auftrag erledigt war. Dann betrat er das Gebäude des Paketdienstes, wo Irenes Unterlagen schon auf ihn warteten.
Afghanistan 2002
    Wie ein Kind an Weihnachten,