Verschärftes Verhör
BP-Tankstelle bog.
Kurtz stellte den Wagen in der Nähe der Zapfsäulen ab, schaltete den Motor aus und sah auf die Uhr. Mitten am Nachmittag, Zeit für das Asr- Gebet.Viele Männer, die meisten von ihnen Fernfahrer, hatten sich um zwei Wasserhähne versammelt.
Sie hatten fünf frustrierende Stunden damit verbracht, einen Mietwagen zu besorgen und Tanger zu verlassen. Das Tanken würde sie mindestens eine weitere halbe Stunde kosten.
»Ich glaube, wir sind nicht mehr in Kansas«, zitierte Kurtz aus dem Zauberer von Oz.
Kat löste ihren Gurt und öffnete die Beifahrertür. »Ich gehe zur Toilette«, verkündete sie und stieg aus.
Kurtz sah sie in der Tankstelle verschwinden und wandte seine Aufmerksamkeit wieder den Männern zu. Die Waschung vor dem Gebet war ein Ritual, dass er hundert-, wenn nicht gar tausendmal beobachtet hatte und das ihn noch immer faszinierte. Es war bemerkenswert, wie sich erwachsene Männer öffentlich erniedrigten. Denn die Reinigung wie auch das Gebet selbst sollte die Betenden Demut lehren, sie gar entwürdigen.
Wie beim Gebet gab es strenge Regeln, und die einzelnen Schritte mussten genau befolgt werden. Zuerst wurde die fromme Absicht erklärt, dann erfolgte die eigentliche Waschung. Dreimal die Hände, dreimal der Mund, dreimal die Nase und so weiter. Die Ohren nur einmal – die Innenseiten mit dem Zeigefinger, die Außenseiten mit dem Daumen – was anmutig und albern zugleich wirkte und an einen Baseballspieler erinnerte, der seinem Teamkameraden ein Zeichen gibt.
Gläubig sind wahrlich diejenigen, deren Herzen erbeben, wenn Allah genannt wird. Kurtz dachte an die Worte des Korans, während er zusah, wie die Männer die Socken hinunterrollten und sorgsam beiseitelegten. Die nackten, verletzlichen Füße unter dem Wasserhahn fand er besonders entwaffnend.
Kurtz hatte einmal nur mit Hilfe seiner Hände und eines Holzstücks den Fuß eines Mannes zermalmt und wusste, wie leicht es war, wie zerbrechlich die Knochen waren, auf denen selbst die kräftigsten Männerkörper ruhten.
Nicht nur einmal am Tag, dachte er, sondern fünfmal, und jedes Mal die gleiche Bitte. Für jemanden, der im Westen aufgewachsen war, schien die absolute Hingabe, die ein solcher Glaube verlangte, einfach undenkbar.
Einen Augenblick lang überkam ihn brennende Eifersucht auf diese Männer. So etwas brauchte man, dachte er, als sie die Gebetsteppiche entrollten und in die Gebetshaltung Qiyam wechselten – die Hände an den Ohren, die Handflächen in Qibla, die Gebetsrichtung, erhoben. Keine Fragen, keine moralischen Haarspaltereien, einfach nur der Mut, zu wissen, sich zu beugen und sich ganz zu vergeistigen. Zu tun, was getan werden musste.
Kat hatte vergessen, was es bedeutete, als Frau in einem islamischen Land unterwegs zu sein. Selbst in Marokko, das von westlichen Touristen geradezu überschwemmt wurde, merkte sie, wie viele Dinge ihr aufgrund ihres Geschlechts versagt blieben. Das arabische Leben fand größtenteils in der Öffentlichkeit statt, in den Cafés und auf den Plätzen der Städte, lauter Orte, die Frauen praktisch verschlossen waren. Obwohl Kat wusste, dass diese in den Küchen und hinter den Mushrabije genannten Holzläden ein eigenes, erfülltes Leben fanden, erschien es ihr alles andere als gleichberechtigt. Die Tatsache, dass sie es weder sehen noch daran teilnehmen konnte, bestärkte sie nur in ihrer Skepsis.
In Afghanistan hatte sie diese Art der Geschlechtertrennung noch erschreckender gefunden. Die Frauen dort waren nichts als Geister gewesen, zusammengedrängte, schweigende Gestalten, die am Straßenrand bettelten oder über die Märkte huschten. Sie hatte die Blicke der afghanischen Männer in der Verhörkabine ertragen, den kalten Ausdruck von Verachtung und Scham. Oder, schlimmer noch, die verzweifelten Versuche, ihrem Blick ganz auszuweichen. Allerdings hatte sie sich damals im Schutz ihrer Uniform bewegt, war die Überlegene gewesen. Diesmal war alles anders.
Als Kat über den Parkplatz ging, versuchte sie, nicht zu den Männern hinüberzusehen, die sich gerade wuschen. Sie wusste, dass ihre Anwesenheit nicht nur vom Gebet ablenkte, sondern verboten war, und sie wollte nicht aufdringlich erscheinen. Dennoch musste sie die Toilette aufsuchen, und es war ratsam, es zu tun, bevor das Gebet begonnen hatte.
Drinnen bewachte ein alter Mann, gebückt und gelähmt, die Registrierkasse. Als die Tür aufging, blickte er hoch und musterte sie mit wässrigen Augen.
Kat
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